Während ich mich gerade in einem Projekt mit Selbstorganisation von Teams befasse, sind die Medien voll mit Pandemie-News. Mein Kopf assoziiert, was Agilität, Werte und Corona miteinander zu tun haben könnten. Ohne jeden Anspruch auf Richtigkeit.

Bei Corona geht es sehr um Werte. Weil wir weitreichende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Einschränkungen erleben, die von einer Debatte um Leben und Tod, Achtsamkeit oder Rücksichtslosigkeit begleitet sind.

Es geht um die Agilität ganzer Nationen. Menschen verändern ihr Verhalten mehr oder weniger. Sie sind dabei von unterschiedlichen Zielen geleitet sind, als Individuen und als Wertegemeinschaften. Die Anzahl der Neuinfektionen ist Ergebnis und Regulativ des kollektiven Handelns.

Agilität und Werte

Wenn es in Organisationen um agile Methoden der Zusammenarbeit geht, muss auch von der Ausrichtung auf gemeinsame Werte und Ziele die Rede sein. Bei agiler Zusammenarbeit kommt es auf das Engagement des Einzelnen ebenso an wie auf geteilte Verantwortung für die Zielerreichung des Teams.

Es ist klar, dass ein Team nur dann mehr erreicht als die Summe der Einzelpersonen, wenn es gemeinsame Werte und Ziele verfolgt und die Verantwortung für Erfolg und auch für Fehler teilt. Das sollte in agilen Teams der Fall sein.

Meine Erfahrung ist, dass die Wirklichkeit davon oft weit entfernt ist. Seit ich als Beraterin tätig bin, erlebe ich Teams, die als Gruppe nicht performant sind, weil es den Mitgliedern der Teams um Selbstoptimierung oder individuelle Zielerreichung geht.

Egos und Externalitäten

Wertebezogenes Handeln von Gruppen bedeutet, dass die Individuen wissen und wollen, dass ihr Handeln nicht nur einen Effekt für sie selbst hat, sondern auch externe Effekte. Man nennt diese Effekte in der Ökonomie Externalitäten.

Das bedeutet: Das eigene Verhalten verursacht Kosten und Nutzen nicht nur beim Verursacher, sondern bei Aussenstehenden. Und zwar unkompensiert. Mein Verhalten hat Auswirkungen auf Unbeteiligte, ohne das die etwas dafürkönnen oder irgendeinen Ausgleich dafür bekommen.

Agilität, Werte und Corona – besteht der Zusammenhang darin, dass unterschiedliche Interessensgruppen in mit ähnlicher Vehemenz ihre Werte vertreten und mit gleicher Konsequenz Externalitäten ausser Acht lassen?

Purpose driven organisations

Agile Organisationen oder Organisationseinheiten definieren ihre Daseinsberechtigung dadurch, dass sie Mehrwert stiften. Aus diesem Grund verwenden sie Zeit und Energie darauf, den eigenen Purpose zu definieren und sich bewusst zu machen.

Der Sinn und Zweck agiler Organisationen besteht am Ende des Tages darin, einen Beitrag zur Ausrichtung auf Kundenbedürfnisse zu leisten, das Leben von KundInnen einfacher und besser machen und als Unternehmen Geld zu verdienen. Das hat wenig mit dem Bewusstsein für Externalitäten zu tun und viel mit Vorteilen für den Verursacher.

Anders ist es, wenn der Purpose von Organisationen weltanschaulich und/oder politisch motiviert ist, wenn z.B. von Nachhaltigkeit und Umweltschutz die Rede ist. Das hat ziemlich viel mit Externalitäten zu tun.

Ich frage mich in Zeiten von Corona, ob sich für uns als Gesellschaft etwas dadurch geändert hat, dass immer mehr Menschen im Business darauf Wert legen, in einer «purpose driven organisation» zu arbeiten. Kommt damit mehr Bewusstsein für Werte in unsere Gesellschaft? Oder mehr Ignoranz für Externalitäten?

Agilität, Werte und Corona

Purpose stiftet kollektives Bewusstsein und relativiert Individualisierung. Oder anders: Agilität ist ein Konzept der wertegetragenen Selbstverwirklichung im Kollektiv.

Wir alle wissen seit Monaten, dass es in der Pandemie auf das Verhalten des Einzelnen ankommt, weil es externe Effekte hat. Wenn ich viele Kontakte zu anderen Menschen habe, erhöht das mein eigenes Infektionsrisiko und das Risiko, dass ich andere infiziere.

Es ist offenkundig in unserer Gesellschaft kein in der Breite geteilter Wert, Externalitäten zu berücksichtigen. Die Befriedigung individueller Bedürfnisse nach Ferien, Freizeitgestaltung, Nähe und Geselligkeit sind in Teilen der Gesellschaft wichtiger.

Angst und Psychological Safety

Fast kommt es mir so vor, als sei die Debatte mittlerweile leiser geworden, welches Risikoempfinden angemessen ist und welche Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie übertrieben sind.

Kürzlich sah ich auf linkedin einen Post, der mit den Worten begann: «Ich habe mir lange überlegt, ob ich etwas zu Corona sagen sollte…» Und dann kam ein Bild, auf dem erklärt wurde, dass wir selbstverständlich Gürtel tragen, damit die Hose sitzt, aber weniger selbstverständlich eine Maske, obwohl es bei der Ausbreitung von Corona hilft. Wenn eine solche Meinungsbekundung langes Überlegen erfordert, wo sind wir da gelandet? In der Cancel Culture?

Ich frage mich, ob zu diesem Zeitgeist passt, dass im Zusammenhang mit Agilität und Selbstorganisation das Konzept von «Psychological Safety» eine Renaissance erlebt. Dabei geht darum, dass ein Team nur dann volle Wirksamkeit entfaltet, wenn sich seine Mitglieder auf gute Normen der Gruppe verlassen können: Sie müssen sich sicher fühlen, ihre eigene Meinung zu äussern und Fehler zu machen – ohne Angst vor gruppendynamischen Sanktionen.

Selbstorganisation aus Angst

Corona vereint und vereinzelt Menschen in Angst. Die zweite Welle ist da. Mehr Infizierte sind unter uns. Menschen befürchten, dass Corona auch sie ernsthaft erwischen könnte.

Ende Oktober hat eine Auswertung von Mobilitätsdaten gezeigt, dass die Menschen in der Schweiz sich so viel und weit bewegen wie vor dem Lockdown im Frühjahr, was auch Rückschlüsse auf Kontaktdichte zulässt. Wenig Purpose, wenig Werte. Mehr Corona-Müdigkeit und Sehnsucht nach Unbefangenheit.

Seit einigen Tagen verlangsamt sich der Zuwachs an Neuinfektionen. Wenn nur Bundesratsbeschlüsse und individuelle Angst um die eigene Gesundheit das kollektive Verhalten verändert, was lernen wir als Gesellschaft aus dieser Krise?

Purpose in der Selbstorganisation

Der Purpose in agilen Teams besteht in der gemeinsamen Verantwortung für ein übergeordnetes ES, um gemeinsame Ziele, Aufgaben, einen gemeinsamen Daseinszweck und geteilte Werte.

Vor allem darin besteht die Abgrenzung gegenüber klassischen Teamstrukturen, in denen persönliche Interessen und individuelle Ziele im Mittelpunkt stehen.

Purpose und Agilität

Weiterführende Links in diesem Zusammenhang

Bildquelle: Beitrag über Schwarmintelligenz auf www.br.de