Meinen letzten Blogbeitrag habe ich Ende Februar geschrieben. Danach haben sich die Ereignisse mal überschlagen, mal verlangsamt. Ganz sicher intensiviert. Es war viel und wenig los. Ich war mit Projekten, anderen Menschen und mir selbst ziemlich beschäftigt. Es gibt die eine oder andere erstaunliche Entwicklung in der Krise. Ich finde es beachtlich, was funktioniert, was nicht funktioniert und wie Systeme sich selbst verändern, wenn der Druck wirklich hoch ist.

Collaboration statt Präsenzkultur

Es war mein dritter Tag auf einem neuen Projekt. Ich war beim Kunden. Meine Auftraggeberin machte das, was wir beide grinsend einen Braindump nannten. Unsere Zusammenarbeit liess sich gut an. Es war Montag, der 16. März. Der Tag, an dem der Lockdown begann.

Auch dieses Unternehmen schickte am Nachmittag – bis auf gewisse Funktionen – alle seine Mitarbeitenden ins Home-Office. Es ist ein grosses Unternehmen, es geht um eine vierstellige Anzahl von Mitarbeitenden. Zum Glück ist das Unternehmen technologisch voll auf der Höhe der Zeit.

Seitdem läuft die Zusammenarbeit über ein Collaboration Tool. Es funktioniert. Die Kalender sind voll. Termine werden effizient genutzt. Man wählt sich pünktlich ein und endet pünktlich. Es nehmen nur die Menschen teil, die etwas beizutragen haben. Man diskutiert anhand von Dokumenten. Die Leute sind vorbereitet und aufmerksam. Gesichter in Grossaufnahme. In realen Sitzungszimmern habe ich bei Präsentationen schon deutlich mehr abwesende Blicke und unhöfliche Handy-Spielereien gesehen.

Virtuelles Teamwork – das ist eine Entwicklung in der Krise, die sich nicht zurückdrehen lässt. Büroarbeit kann auch im Home-Office produktiv und konzentriert erledigt werden. Nicht in allen Bereichen und nicht ausschliesslich. Aber so mancher Business-Flug dürfte auch in Zukunft verzichtbar sein. Wir sind flexibler geworden.

Führung und Selbstführung

Virtuelle Teams erfordern Qualitäten in der Führung. Das ist keine Entwicklung in der Krise. Neu ist, dass es jetzt von viel mehr Menschen erlebt wird.

Wenn alle Mitglieder des Teams allein zu Hause vor dem Laptop sitzen, zeigt sich, ob die Arbeitsbeziehungen geregelt und gefestigt sind. Das Verhältnis zum Vorgesetzten will gepflegt sein. Ist es das nicht, fällt es spätestens jetzt im Home-Office auf. Für wen das eine Entwicklung in der Krise ist, der hat vorher etwas versäumt.

Ein regelmässiger und disziplinierter Austausch über Ziele, Aktuelles, auch über Probleme und Pannen ist nötig für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung, in der Chefs und Mitarbeitende treffsicher tun, was die andere Seite braucht, um erfolgreich zu sein. Auch wenn man sich jeden Tag im Büro persönlich begegnet, muss diese Beziehung bewusst aufgebaut und aufrechterhalten werden. Erst recht, wenn man sich nicht zufällig begegnet.

Dynamik im Team

Selbstorganisation im Team – ein weiteres Thema, das nach Führung schreit. Auch nach Selbstführung. Insbesondere bei agiler Zusammenarbeit. Ich habe es in der Coronakrise mehr als einmal gehört: Selbst wenn Teams sich mit Rollen und Methoden der agilen Zusammenarbeit ausführlich beschäftig haben, kann es zwischendurch auf ungute Weise menscheln, gerade wenn man sich nicht persönlich begegnen muss.

Beispiel: Es ist ein Grundprinzip agiler Zusammenarbeit, dass das Team selbst festlegt, wer welches Thema bearbeitet. Natürlich sollte es dabei um Skills und Ressourcen gehen. In der Realität landet ein Thema oft einfach bei der Person, die entschlossen danach greift.

Ich bin überzeugt, dass in Teams in jedem Fall eine Entwicklung in der Krise stattfindet. Es hängt vom Reifegrad des Teams ab, ob diese Entwicklung reflektiert und produktiv genutzt wird oder ob Dinge unausgesprochen bleiben. Keine Frage: die explizite Teamentwicklung bietet mehr Chancen. Teams, die diese Chance ergreifen, werden gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Zwischenmenschliche Aufmerksamkeit

Eine unbestreitbare Entwicklung in der Krise ist, dass wir uns besser kennenlernen. Es gibt die Menschen, die aus Angst nur noch die ureigensten Bedürfnisse verfolgen. Warum sonst wäre Klopapier ausverkauft?

Und es gibt die Menschen, die an andere denken. Für mich ist es eine wunderbare Erfahrung, dass es eine ganze Reihe von Hilfsangeboten für meine Mutter (86) gibt. Mit völliger Selbstverständlichkeit bieten Menschen auch aus dem weniger engen Umfeld an, für sie einkaufen zu gehen. Sie kann tatsächlich darauf vertrauen. Es klappt völlig unkompliziert.

Ich selbst habe in den vergangenen Wochen von verschiedenen Menschen Anrufe erhalten. Auch von Kunden, für die ich im Moment nicht tätig bin. Sie haben sich erkundigt, wie es mir geht. Wir haben zusammen über Social Distancing im Freundes- und Familienkreis geflucht. Es hat uns gut getan zu spüren, dass wir eben doch nicht allein sind.

Mein persönlicher Held: Der langjährige CEO eines IT-Outsourcing-Dienstleisters hat sich per Teamviewer auf meinen Rechner eingewählt und für mich ein IT-Problem gelöst. Über die Jahre ist die Verbindung freundschaftlich geworden. Auch das ist eine Entwicklung in der Krise: Die Spreu trennt sich vom Weizen. Es wird spürbar, wo es ein echtes Interesse am Anderen und echte zwischenmenschliche Aufmerksamkeit gibt.

Kür und Pflicht

Vor kurzem erzählte mir die Personalentwicklerin aus der öffentlichen Verwaltung, dass sie sämtliche Präsenzseminare für dieses Jahr absagen muss. Es gibt einen Ausgabestopp. Auch die geplante Initiative zu den Themen Innovationskraft und Kundenfreundlichkeit ist auf Eis gelegt.

Ganz ehrlich – ich finde das gut. Das Unternehmen hat bisher ein üppiges internes Weiterbildungsprogramm gepflegt. Es gab Seminare zu Gesundheitsmanagement und Achtsamkeit in der Führung. Ich kann mir vorstellen, dass auch in einer Belegschaft, die aus überwiegend unkündbaren Mitarbeitenden besteht, Achtsamkeit in der Führung zu einem angenehmen Umgang miteinander beiträgt.

Ich bin nicht sicher, ob das Thema so richtig viel daran ändert, ob Teams ihre Aufgaben produktiv und gut erfüllen. Eine interessante Entwicklung in der Krise ist, dass solche Themen einfach wegfallen können.

Andere Veränderungsthemen werden anscheinend einfach mit weniger Aufwand bearbeitet. Ja, Innovationskraft ist wichtig. Im Moment erleben wir, dass dafür weniger Workshops nötig sind. Unternehmen passen sich mit vitalem Interesse an neue Gegebenheiten an. Der Unterwäschehersteller Triumph startet die Maskenproduktion. IT-Firmen stampfen Business-Continuity-Programme aus dem Boden. Neue Online-Plattformen für alles Mögliche entstehen: für die Beratung von Arbeitslosen, für Bestell- und Lieferservices, für die houseparty als Social Media Event.

Die Krise zeigt, wo die Energie hingeht und wo sie nicht ist. Das ist Schwarmintelligenz.

Anders lernen

Ich selbst auf Zoom zum Thema Transformation und Change Management. Das hätte ich vor wenigen Wochen noch nicht für möglich gehalten. Am 30. April startet an der ZHAW mein Kurs zum Thema Business Transformation – im virtuellen Klassenzimmer.

Persönlich finde ich, dass Lernen vielschichtiger stattfindet, wenn es auch eine körperliche Dimension gibt. Wenn bei Gruppenarbeit Papier raschelt, mehrere Personen gleichzeitig am Flipchart malen, der Dozent bzw. die Dozentin sich beim Vortrag bewegen kann und Fragen und Bedürfnisse von Teilnehmenden sozusagen im Raum stehen können, um dann behandelt zu werden.

Aber es wird auch auf Zoom gehen. Alles, was ich bisher mit Collaboration Tools erlebt habe stimmt mich zuversichtlich. Ich freue mich mittlerweile sehr auf diese gemeinsame Lernerlebnis. Wir haben jede Menge Themen und so vertraue ich auf die Kraft einer Gruppe, die positiv in dieses Experiment geht. 😊