Was bedeuten die Begriffe duale Transformation und Ambidextrie und was bringen sie für die Planung und Durchführung von Veränderungsvorhaben?
Beide Konzepte erklären, dass unterschiedliche Formen von Veränderung unterschiedlich geführt werden müssen, und zwar trennscharf. Damit warnen sie vor einem methodischen Einheitsbrei und verlangen stattdessen Klarheit im Ziel und ein bewusstes Vorgehen, insbesondere in der Führung.
Duale Transformation
Duale Transformation meint die Gleichzeitigkeit von Optimierung des bestehenden Kerngeschäfts und Erneuerung des Geschäftsmodells. Das Konzept ist mit der Agilisierung der Arbeitswelt entstanden. Beidem liegt die Vorstellung der VUCA-Welt zugrunde, in der Geschäftsmodelle sich kontinuierlich verbessern und erneuern müssen, um zukunftsfähig zu bleiben.
Deshalb führen die meisten Unternehmen sowohl Change-Vorhaben durch, die das Kerngeschäft optimieren und effizienter machen sollen als auch Projekte, die ihre Innovationskraft stärken und neue Angebote und Produkt entwickeln sollen. Anders gesagt geht es um das Nebeneinander von Ertragsoptimierung und der Investition in neue Chancen.
Ambidextrie
Ambidextrie bedeutet Beidhändigkeit. Im Business ist damit nicht gemeint, dass man mit der rechten und der linken Hand gleich gut schreiben kann, sondern dass dieselbe Führungskraft zwei unterschiedliche Leadership-Stile für verschiedene Formen der Strategieumsetzung beherrscht.
Wo es um Effizienzsteigerung im Kerngeschäfts geht, ist mehr top-down-Steuerung gefragt. Mehr Vorgaben, mehr Ergebnisorientierung, mehr Tempo, klare Ziele und Fortschrittskontrolle. Es geht also um die verlässliche Umsetzung getroffener Management-Entscheide.
Wo es Innovation geht, muss bottom-up Dynamik entstehen. Mehr Kreativität, mehr Ergebnisoffenheit, mehr Experimente, mehr Zeit, Lernen aus Fehlern und Umwegen. Es geht um das Erkunden von und Entscheiden für erfolgversprechende Möglichkeiten.
Viele Führungskräfte können entweder Optimierung oder Innovation, aber nicht beides.
Ambidextrie und Führen mit Mut zur Direktive
Zwar sind duale Transformation und Ambidextrie theoretische Konzepte, doch bringen sie für die Planung und Durchführung von Veränderungsvorhaben viel.
Eine Erkenntnis darf sein, dass manche Change-Projekte nicht partizipativ geführt werden sollten oder anders gesagt: Wo die Betroffenen nicht gestalten können, was auf sie zukommt, ist Partizipation kontraproduktiv. Das gilt beispielsweise bei Restrukturierungen, Sanierungen und finanzielle Krisen.
Richtigerweise vermitteln Führungskräfte in solchen Fällen, welche Entscheidungen Mitarbeitende ohne grössere Einflussnahme umsetzen müssen, weil die Organisation damit ihre Zukunftsfähigkeit absichert.
Was jedoch nicht funktioniert: Mitarbeitern eine Veränderung abverlangen, die nur der Organisation dient, ihnen persönlich aber nichts bringt. Motivation entsteht durch überzeugende Antworten auf die Frage «What’s in for me?».
Ambidextrie und Führen mit Mut zum Loslassen
Das Gegenteil von Top-Down-Direktive ist gefragt, wenn es darum geht, das Potenzial der Organisation zu entfalten. Hier müssen Manager auf das Wissen und die Ideen der Mitarbeitenden vertrauen und Rahmenbedingungen schaffen, in denen interdisziplinär und kreativ gearbeitet werden kann.
Das gilt beispielsweise für Innovationsprozesse oder Produktentwicklung und ist selbstverständlich bei agilen Methoden und Selbstorganisation.
In solchen Fällen ist transformationale Führung gefragt, die auf die intrinsische Motivation von Mitarbeitenden zielt. Führungskräfte müssen über Purpose führen, überzeugende Antworten auf das WHY des Tuns geben, sich aber aus dem HOW and WHAT heraushalten.
Bewusste Prozessführung im Change
Für Veränderungsvorhaben gilt, was auch für Strategieentwicklung und -umsetzung gilt: die Führung muss bewusst «Ja» und «Nein» sagen.
Bei Optimierungsprojekten: «Ja» zur Verbindlichkeit der eigenen Entscheidungen, «Ja» zum Konsequenzmanagement bei fehlender Umsetzungsdisziplin, «Nein» zur Illusion der Mitbestimmung und «Ja» zur Veränderung von KPI und Incentivierung passend zur geforderten Verhaltensänderung.
Bei Innovationsprojekten: «Nein» zu operativen Einmischungen aus der Führungsetage, «Ja» zum Know-how an den Graswurzeln der Organisation, «Nein» zu beliebigen Lösungen, «Ja» zu mutigen Schritten, «Ja» zu iterativer Annäherung ans Ziel, aber «Nein» zu längerer Ergebnislosigkeit.
Reflexion und Ambidextrie
Meine Erfahrung ist, dass die klare und systematische Prozessführung im Change meist nicht intern geleistet werden kann. Weil in solchen intensiven Phasen alle voll im Geschehen sind und nicht die Distanz haben, sich zu reflektieren.
Führungskräfte sind möglicherweise «biased», weil sie ihr Handeln nur an ihren Erfahrungen und Überzeugungen ausrichten. Mitarbeitende führen aus, weil sie nicht über alternatives Knowhow verfügen oder nicht durch Widerworte auffallen wollen.
Ich beobachte, dass der Trend zu Agilität auch nicht immer hilfreich ist. Echte Selbstorganisation erfordert von Führungskräften und Mitarbeitenden einen grundlegenden Wandel, den nicht alle Organisationen durchhalten. Stattdessen entstehen Puzzleteile, die kein Gesamtbild ergeben, beispielsweise die Erwartung von Führungskräften, dass Mitarbeitende von sich aus Verantwortung für die Geschicke der Firma übernehmen sollen.
Kurzum: Es lohnt sich, den richtigen Weg für das anstehende Veränderungsvorhaben mit klarem Blick zu planen und mit Fingerspitzengefühl ebenso wie mit Konsequenz zu verfolgen.