Wie funktioniert Strategieentwicklung? Wie kann Strategieentwicklung zum Auftakt für erfolgreiche Strategieumsetzung werden? Wer treibt den Prozess und welche Ergebnisse müssen dabei herauskommen?
Ungesteuerte dezentrale Dynamik
In meinen Beratungsprojekten erlebe ich häufig, dass es zur Unternehmensrealität gehört, dass Chancen im Markt opportunistisch genutzt werden. Niemand nennt das Strategieentwicklung. De facto ist es aber Strategieentwicklung. Evolutionär, inkrementell und als Eigenleistung des Systems.
Über eine gewisse Zeit funktioniert so Wachstum. Ab einer gewissen Grösse droht der Organisation bei dieser Form der Strategieentwicklung Verzettelung. Wir kennen die Beispiele. Kleinfürstentümer bauen ihre eigenen Supportstrukturen auf. In der IT werden Infrastrukturen und Systeme gedoppelt und variiert. Im Einkauf beschaffen Führungskräfte nach persönlichen Vorlieben, was bei zentraler Beschaffung kostengünstiger wäre. Insgesamt fehlt es irgendwann an Transparenz. Zentrale Steuerung funktioniert nicht mehr richtig.
Gesteuerte Beteiligung der Organisation
Wenn Strategieentwicklung hingegen exklusiv innerhalb des Managements stattfindet, führt das nur vermeintlich schnell zum Ziel. Es ist klar, dass Konsensbildung schneller geht, wenn im kleinen Kreis gearbeitet wird. Aber was ist ein Strategiepapier wert, das vielleicht intellektuell brilliant, aber nur von wenigen verstanden ist? Und wo sind die kreativen Ideen, die nur einbringen kann, wer dicht an der tatsächlichen Fragestellung arbeitet.
Aus systemischer Sicht ist die wirksamste Form der Strategieentwicklung eine, bei der die Führung Richtung gibt und Wege findet, indem sie Mitarbeitende aus der Breite der Organisation einbezieht. Es dauert insgesamt länger, bis ein Strategiepapier entstanden und verabschiedet ist. Dafür entfällt ein Teil der konventionellen Top-down-Strategiekommunikation, bei der die oberste Führung über die Strategie informiert – in der Hoffnung, dass diese von der Organisation umgesetzt wird.
Strategieentwicklung im System
Auch in der Strategieentwicklung gilt, dass Umsetzung besser funktioniert, wenn zuvor aus Betroffenen Beteiligte werden konnten. Es ist eine Entscheidung der Führung, wo Strategieentwicklung stattfindet und wer in diesen Prozess einbezogen wird.
Im Kern gibt es vier Arten der Strategieentwicklung, die jeweils ihre Vor- und Nachteile haben:
- Intern und top-down, innerhalb des Management-Teams
- Intern und bottom-up, durch Wachstum von marktnahen Einheiten
- Mit externer Expertise und top-down, wenn das Management-Team sich von Beratern unterstützen lässt
- Mit externer Expertise und bottom-up, wenn mit Hilfe von Beratern die Gesamtorganisation aktiviert wird
Dieser Beitrag handelt vor allem von dem Quadranten links unten in der Grafik: von partizipativer Strategieentwicklung.
Energiequellen im Change
Ganz praktisch beginnt Strategieentwicklung mit der Überzeugung der Führung, dass zwischen dem IST und dem SOLL der Organisation eine Lücke klafft. Die Beobachtung von IST-SOLL-Differenzen ist die ureigenste Aufgabe von Führung. Führung muss den Blick auf die Organisation organisieren. Wie gut steht die Organisation in ihrem Umfeld da? Was machen die Wettbewerber? Was wollen die Kunden? Wie gut passen die internen Gegebenheiten zu den Anforderungen der Zukunft?
Die strategische Analyse erfasst die aktuelle Situation von Organisation und Umfeld inkl. absehbarer Entwicklungen. Die Überzeugung, dass es so, wie es ist, nicht bleiben kann, ist die erste Energiequelle von Change-Prozessen.
«Weg von» reicht als Motivation des Handelns allerdings nicht aus. Sogwirkung entsteht erst durch ein definiertes attraktives Zielbild, ein «Hin zu» für die Organisation. Es ist wie ein Foto von der Organisation in der Zukunft. Für die mentale Ausrichtung ist das wichtig. Was man sehen kann, kann man auch erreichen.
Strategieentwicklung als geführter Prozess
Strategieentwicklung und -umsetzung führen das Unternehmen aus dem operativen Tagesgeschäft. Unternehmen, die einen gewissen Reifegrad erreicht haben, machen Strategieentwicklung zur wiederkehrenden Aufgabe und organisieren sich in einem Strategiezyklus. Die sieben Schritte in der Strategieentwicklung und -umsetzung sind:
- Diagnose der Ausgangssituation
- Entwicklung von Strategieoptionen
- Auswahl der am meisten Erfolg versprechenden strategischen Optionen
- Festlegung der Positionierung und Konzeption von Veränderungsthemen
- Anpassung von Strukturen, Organisation und Kultur
- Umsetzungscontrolling
- Festigen der Veränderung
(Quelle: Reinhard Nagel / Rudolf Wimmer: Systemische Strategieentwicklung. Stuttgart 2014.)
Partizipative Strategieentwicklung
Strategieentwicklung bedeutet, Alternativen für die Organisation zu finden und eine davon umzusetzen. Nur wenn es die Bereitschaft gibt, tatsächlich eine andere Identität, Ausrichtung und Alltagsrealität für das Unternehmen festzulegen, entsteht aus Strategiearbeit etwas Neues. Alles andere sind Optimierungsprojekte, die künftige Erfordernisse antizipieren.
Die strategische Analyse kann durchaus in einem kleinen Kreis stattfinden, z.B. in der Abteilung für Unternehmensentwicklung. Auf dieser Basis kann dann die Zukunft neu erfunden werden. Dieser Arbeitsschritt der Strategieentwicklung findet sinnvollerweise unter Einbindung von Führungskräften, Spezialisten und Stakeholdern statt.
Gut geeignet für eine Erkundung möglicher Zukunftsentwürfe sind Grossgruppen-Workshops mit interdisziplinär zusammengesetztem Teilnehmerkreis. Vorarbeiten aus der strategischen Analyse werden eingebracht und von den Teilnehmenden zu Schlussfolgerungen und Bewertungen zusammengeführt.
Strategische Leitplanken
Auf dieser Basis kann dann ein Zielbild für das Unternehmen umrissen werden. Es beantwortet die Frage nach dem Daseinszweck der Organisation: Welches Kundenproblem wollen wir lösen? Die benachbarte Frage nach der Positionierung klärt: Was unterscheidet uns von Wettbewerbern?
Der nächste Detaillierungsgrad der Strategieentwicklung ist die Ableitung von Handlungsfeldern, die z.B. mit Expansion, Internationalisierung, Digitalisierung oder Produktentwicklung zu tun haben können. Das sind Schwerpunkte der Strategieumsetzung. Keiner der Punkte ist eine Strategie. Weil die Strategie definiert, was das Unternehmen einzigartig macht und nicht, welche Massnahmen sich daraus ergeben.
(Sehr pointiert dazu das Youtube-Video mit Michael Porter: What Strategy is)
Strategieumsetzung als logische Konsequenz
Das Herabbrechen der Strategie ist sinnvollerweise wiederum ein partizipativer Prozess, der in den verschiedenen Abteilungen und Teams vorbereitet wird. Die Ergebnisse werden dann in einer Konsolidierungskonferenz synchronisiert und zu einer strategischen Roadmap vereint. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Organisation als Ganzes ihre Prioritäten im Blick behält, ihre Kräfte fokussiert und Aktivitäten aufeinander abstimmt.
Strategieumsetzung ist eine logische Konsequenz aus partizipativer Strategieentwicklung. Das bedeutet nicht, dass alles ein Spaziergang ist. Aber der Umsetzungserfolg ist wahrscheinlicher. Denn partizipative Strategieumsetzung wird von vielen getrieben, nicht nur von Führungskräften. Das führt dazu, dass die Notwendigkeit zur Veränderung verstanden ist. Die Akzeptanz für Veränderungen ist höher, wenn die Zukunftsvision ein Gemeinschaftswerk ist. Führungskräfte teilen die Verantwortung für erfolgreiche Strategieumsetzung und Mitarbeitende wissen, wohin die Reise geht und was zu tun ist.