Manchmal sind es vermeintlich kleine Themen, die grosse Effekte haben. Richtiges Feedback zum Beispiel, und damit meine ich: das richtige Feedback geben und Feedback richtig geben.
Oder wie Vincent van Gogh sagte: «Das Große kommt nicht allein durch Impuls zustande, sondern ist eine Aneinanderkettung kleiner Dinge, die zu einem Ganzen zusammengefügt sind.»
Die meisten Firmen denken, sie haben das Thema im Griff. Immerhin gehören Mitarbeitergespräche zu den Aufgaben jeder Führungskraft. Auch das Trendthema Agilität ist eng mit Feedback verbunden, wie sonst soll die oft beschworene Fehlerkultur entstehen.
In einem Projekt bei einem Emmentaler Mittelständler habe ich erlebt, wie wirkungsvoll es ist, klein anzufangen und erstmal richtiges Feedback zu üben, bevor agile Arbeitsmethoden zum Einsatz kommen.
Richtiges Feedback und Selbstregulation
Die Grundidee von Selbstorganisation ist, dass Teams gemeinsam dafür sorgen, dass sie für die Erreichung gemeinsam definierte Ziele innerhalb von gemeinsam gesteckten Leitplanken bleiben.
Diese Leitplanken sind einerseits durch quantitative Messgrössen der Zielerreichung definiert, andererseits durch einen Modus der Zusammenarbeit der effizient ist und die Potenziale der Teammitglieder nutzt.
Das alles funktioniert nur, wenn darüber gesprochen wird, was nichts anderes bedeutet, als dass Selbstorganisation und Agilität vor allem richtiges Feedback erfordern.
Den Rahmen für Feedback im Team schaffen Methoden der agilen Zusammenarbeit. Kanban, Daily, Weekly und Retro entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn sie dafür genutzt werden, dass Teammitglieder darüber sprechen, was warum gut und was warum nicht gut funktioniert.
Und deshalb habe ich zum Start in die Selbstorganisation mit dem Team im Emmentaler KMU zunächst richtiges Feedback geübt.
Feedback im beruflichen Umfeld
Richtiges Feedback hat viel mit dem konstruktiven Willen zur Transparenz über das zu tun, was gut läuft und vor allem, was nicht so gut läuft.
Insofern ist richtiges Feedback mit Offenheit und Ehrlichkeit verbunden. Allerdings bedeuten diese Begriffe etwas anderes als im privaten Umfeld.
Im Job geht es nicht um die moralische Bewertung von Verhalten, weil Menschen im beruflichen Umfeld nicht Werte-, sondern Zweckgemeinschaften bilden. Sie verbindet in erster Linie, dass sie eine Organisation attraktiv finden und sich Berufsalltag und Karriere dort vorstellen können.
Offenes und ehrliches Feedback im Team bedeuten deshalb nicht mehr und nicht weniger als die Bereitschaft, Erwartungen an die Qualität von Arbeitsergebnissen und Zusammenarbeit auf konstruktive Weise zu artikulieren und, falls nötig, auch Korrekturen zu verabreden.
Veränderungen vorschlagen statt zu kritisieren
Wenn Teams über Fehler oder Abweichungen vom Kurs sprechen, dann sollten sie zuvor Ziele und Leitplanken der Zusammenarbeit vereinbart haben. Nur dann sind die Referenzpunkte für Feedback gesetzt und positive wie negative Rückmeldungen an Einzelpersonen nachvollziehbar.
Richtiges Feedback ist der Abgleich der aktuellen Situation mit dem, was ein Team sich vorgenommen hat. Am besten findet Feedback zeitnah und regelmässig statt, und zwar aus zwei Gründen: Auf der Sachebene können Probleme korrigiert werden, bevor sie zu gross sind, und auf der Beziehungsebene verfestigen sich keine dysfunktionalen Muster.
Anders gesagt: Weder staut sich beim Feedback Gebenden der Unmut an, noch schleifen sich beim Feedback Nehmenden Verhaltensweisen ein, welche die Zusammenarbeit mit anderen beeinträchtigen. Beides führt zu unerfreulichen Überraschungen, wenn das Missverhältnis zwischen Erwartungen und tatsächlichem Verhalten ausgesprochen wird.
www oder die Kraft der Ich-Botschaften
Die oberste aller Feedback-Regeln ist, dass man über sich spricht, nicht über die andere Person. Deshalb empfehle ich die leicht zu merkende www-Formel, bei der Wahrnehmung, Wirkung und Wunsch formuliert werden. Die Feedback gebende Person sagt 1. was sie wahrnimmt, 2. wie das auf sie wirkt und 3. was sie sich stattdessen wünscht.
Der Trick besteht vor allem darin, zunächst das wahrnehmbare Verhalten zu beschreiben, es erst im nächsten Schritt zu interpretieren und sich dann konstruktiv ein anderes Verhalten zu wünschen.
«Ich nehme wahr, dass Du immer wieder zu spät zu Meetings erscheinst. Auf mich wirkt das so, als ob Dir die Absprachen im Team nicht so wichtig sind, und das finde ich nicht wertschätzend. Ich wünsche mir, dass Du Dich mit derselben Verbindlichkeit an unsere Spielregeln hältst wie alle anderen.»
Das ist etwas anderes als «Immer kommst Du unpünktlich. Du meinst wohl, Du hast es nicht nötig, Dich mit uns abzustimmen. Du bist einfach kein Teamplayer.»
Beziehungen und Konflikte im beruflichen Umfeld
Warum fällt richtiges Feedback dennoch vielen Menschen schwer? Weil sie Feedback mit Kritik gleichsetzen und nicht durch Kritik die Beziehungen zu Kolleg:innen gefährden wollen. Kurzum: Viele Menschen vermeiden Feedback, weil sie Angst vor Konflikten haben.
Als systemische Beraterin versuche ich immer wieder das Bewusstsein herzustellen, dass Organisationen sachorientierte und nicht personenorientierte soziale Systeme sind.
Natürlich prägen Personen Organisationen, aber selbst bei Start-ups und KMU mit überschaubarer Mitarbeiterzahl geht es nicht darum, die Bedürfnisse und Werte von Individuen zu beeinflussen oder zusammenzubringen. Es geht um gemeinsame Zielerreichung.
Richtiges Feedback ist wichtig, damit im Team oder bilateral zwischen Führungskraft und Mitarbeitendem auf konstruktive Weise Transparenz darüber hergestellt wird, an welchen Stellen Aufgaben nicht so erledigt werden, wie es für die Zielerreichung notwendig wäre.
Insofern hat richtiges Feedback nichts mit zwischenmenschlichen Verletzungen zu tun oder grundlegender Kritik an der Persönlichkeit des anderen.
Richtiges Feedback und Veränderungsprojekte
In meinem Emmentaler Projekt ging es um Selbstorganisation und agile Methoden. Entscheidende Voraussetzung dafür war die Fähigkeit, Feedback richtig zu geben und zu nehmen.
Feedback anzunehmen ist eine andere Definition von Veränderungsbereitschaft, und zwar völlig unabhängig davon, ob die Zusammenarbeit agil oder «klassisch» organisiert ist.
Mein Emmentaler Projekt hat mich wieder daran erinnert, dass oft der Mut zur Langsamkeit erforderlich ist. Auch die vermeintlich kleinen Bausteine der Veränderung müssen von ausreichend vielen Menschen akzeptiert, verstanden und umgesetzt sein, damit etwas spürbar anders wird.
Richtiges Feedback bedeutet in meiner Arbeit manchmal auch, Führungskräfte an genau diesen Mut zur Langsamkeit zu erinnern, die sie selbst brauchen, um eine kritische Masse von Menschen verbindlich zu involvieren.