Zurzeit bereite ich einen Strategie-Workshop für die Geschäftsleitung eines Familienunternehmens vor und das lässt mich über Machtbeziehungen in Organisationen nachdenken.

Das Briefing für dieses Projekt habe ich in Interviews mit den Mitgliedern der Geschäftsleitung erhalten. Das Unternehmen wird in zweiter Generation von den Töchtern des Gründers geführt. Vor einigen Monaten ist zudem der Partner einer Tochter als Mehrheitsaktionär und geschäftsführender Partner in die Firma eingetreten.

Sachebene und Beziehungsebene

Alle Gesprächspartner wünschten sich eine Rollenklärung innerhalb der GL. Man müsse Aufgaben und Zuständigkeiten noch klarer definieren und voneinander abgrenzen. Es sei wichtig, dass alle ihre Kernkompetenzen gut einbringen könnten und für Themen jeweils eindeutig im Lead seien.

Gleichzeitig würden Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen und da würden eben auch die unterschiedlichen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander spürbar.

Es würde sehr viel kommuniziert, mal bilateral, mal in Mails an alle. Sitzungen würden häufig zu lange dauern und man könne effizienter sein. Insgesamt seien sie aber alle überzeugt, dass sie die Firma zusammen gut weiterentwickeln können.

Neben dem Wohlwollen, das die Atmosphäre im Führungsteam bestimmt, konnte ich auch Risiken heraushören, die mit typischen Machtbeziehungen in Organisationen zu tun haben.

Familienbande

Was, wenn der Lebenspartner der einen Tochter zu sehr zum Chef wird? Was macht das mit der Tochter, die hauptverantwortlich für viele Themen war? Was bedeutet das für die Beziehung zwischen den beiden Töchtern, die vorher alles Wichtige untereinander ausgemacht haben?

Welche Bedeutung hat der Vater und Unternehmensgründer für die heutige Führungsgeneration? Welche Lücke und welche Altlasten hat er in der GL hinterlassen? Er ist noch im Verwaltungsrat – ein quirliger Typ, der die Firma mit väterlichem Vertrauen an «siine Maidli» übergeben hat, aber eben doch auch Vorstellungen davon hat, wie die Dinge laufen sollten.

Wie kann der neue geschäftsführende Gesellschafter seinen Gestaltungswillen entfalten? Wie kann er langjährige Mitarbeitende dafür gewinnen, Dinge anders und dadurch besser zu machen? Wie kann er vermeiden, selbst zum Nadelöhr zu werden, wenn zu viele Themen zunächst nur durch ihn eine neue Richtung nehmen können?

Vor allem: Wie können die Mitglieder der Familie die Unternehmensführung so gestalten, dass ihre Beziehungen untereinander nicht beschädigt werden, sondern sich produktiv entfalten.

Machtbeziehungen in Organisationen

Macht in sozialen Systemen ist ein Schlüsselthema in der Systemtheorie. Von Niklas Luhmann ist dazu posthum das Buch «Macht im System» erschienen. Auch Fritz B. Simon hat das Thema Macht immer wieder behandelt, u.a. in dem Buch «Die Kunst, nichts zu lernen», in dem er mit «herkömmlichen Vorstellungen von Macht und Ohnmacht» aufräumt.

Klar ist, dass Macht nichts ist, was man von jemandem übernimmt, um es für eine gewisse Zeit zu besitzen und dann an andere weiterzugeben. Macht ist nichts Dinghaftes, das wie Zepter und Reichsapfel in einer Krönungszeremonie übergeben wird.

Macht/ Einfluss/ Wichtigkeit gewinnt derjenige, dessen Funktion nicht austauschbar ist. Insofern ist Macht immer eine asymmetrische Beziehung, bei der die Funktion des einen Akteurs in der Beobachtung des anderen Akteurs als wichtiger wahrgenommen wird als die eigene Funktion.

Beispiele für Machtbeziehungen in Organisationen

So mancher CEO wäre nichts ohne den COO, der für die Strategieumsetzung sorgt. Mitarbeitende können ihre Ideen nicht ohne das Go ihrer Führungskraft umsetzen. Gleichzeitig wäre manche Führungskraft nichts ohne die Ideen von Direktunterstellten in ihrem Team. Und wer hat nicht schon einmal erlebt, wie wichtige Umsatzträger sich vieles herausnehmen können, weil der Chef bzw. die Chefin annimmt, auf sie angewiesen zu sein?

Die Macht hat, wer für den Fortgang der Dinge entscheidend ist. Das kann auch die Sekretärin sein, auf die angewiesen ist, wer kurzfristig oder überhaupt einen Termin mit einem Top-Manager bzw. einer Top-Managerin haben möchte.

Macht hat, wer eine Funktion für den anderen ausübt, die weniger austauschbar ist als umgekehrt. Macht ist keine absolute Größe, sondern immer relativ mit Bezug auf konkrete Beziehungen. Damit keine ungesunden Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, muss in Unternehmen jede und jeder austauschbar.

Besonderheit von Familienunternehmen

Die Systemtheorie unterscheidet zwischen personenorientierten sozialen Systemen (z.B. Familie) und sachorientierten sozialen Systemen (z.B. Unternehmen). In Familienunternehmen ist diese Unterscheidung teilweise aufgehoben.

Anders als in Unternehmen, in denen die Austauschbarkeit von Personen wichtig ist, wenn der Unternehmenszweck im Mittelpunkt stehen soll, sind die Mitglieder von personenorientierten sozialen Systemen nicht austauschbar. Ihr Wert besteht für die anderen Mitglieder des Systems nicht in der Erfüllung sachlicher Funktionen, sondern in ihrer Einzigartigkeit als Individuum und in der Beziehung zu anderen.

Auch wenn es um Sachfragen geht, werden in personenorientierten Systemen immer die Beziehungen der Beteiligten ausgehandelt. Die soziale Dimension ist letztlich wichtiger als die Inhalte. Ein Disput endet nicht, weil Klarheit in der Sache erreicht ist, sondern weil eine Person das letzte Wort hat, und zwar nicht unbedingt aufgrund von Sachkompetenz, sondern vielleicht aufgrund einer emotionalen Funktion, die es für andere Mitglieder der Gruppe hat.

Eine Herausforderung von Unternehmerfamilien besteht darin, dass ihre Mitglieder sich in Sachthemen nicht gegenseitig schwächen aufgrund von Abhängigkeiten auf der Beziehungsebene. Stattdessen müssen sie Wege finden, um sich immer wieder dem Unternehmenszweck unterzuordnen, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen und diese verlässlich in gemeinsames Handeln zu überführen. Gleichzeitig sind sie darauf angewiesen, die Bedürfnisse und Werte von Individuen gegeneinander abzugleichen und zusammenzubringen.

Strategie-Workshop im Familienunternehmen

Die Performance der Geschäftsleitung im Familienunternehmen hängt davon ab, wie gut sich die GL als Gruppe selbst reguliert, wie bewusst sie ihre Beziehungen untereinander managen und für einen produktiven Austausch in Sachfragen sorgen.

Aus diesem Grund beginnt der Workshop damit, dass persönliche Qualitäten wertgeschätzt und unterschiedliche Kommunikations- und Verhaltensstile sowie die Aufgabenverteilung in der GL reflektiert werden. Die gewünschte «Rollenklärung» findet auf zwei Ebenen statt. Wir beleuchten, welche die Funktion eine Person für die anderen Mitglieder der GL auf der Beziehungsebene hat und welche Funktion sie auf der Sachebene im Unternehmen einnimmt.

Danach klären wir die Konsequenzen: wer für welches Thema im Lead ist, wer mit wem in welchem Thema zusammenarbeitet und wie Arbeitseffizienz und Performance der GL gesteigert werden können.

Erst im letzten Teil des Workshops wird es um Entscheidungen zur Unternehmensentwicklung gehen. Wenn die Machtverhältnisse klar sind, müssen sie nicht in allen Sachfragen implizit ausgehandelt werden. Und damit kann die Bearbeitung operativer Themen – im Workshop und später in den GL-Sitzungen – zügiger, geschmeidiger und auch freudvoller ablaufen.

Weiterführende Links in diesem Zusammenhang

Bildquelle: www.gograph.com