Wie lässt sich ein Kulturwandel im Unternehmen gestalten? Wie können Einstellungen und Verhaltensweisen von Mitarbeitenden verändert werden? Welche Rolle spielt die Führung und welche Kultur passt zur Strategie des Unternehmens?
Change-Management soll nicht selten einen Kulturwandel im Unternehmen bewirken. Doch was genau ist zu tun, damit in der Breite der Organisation ein neuer «Mindset» spürbar wird?
Culture eats strategy for breakfast
Meist sind es Manager, die sich einen Kulturwandel im Unternehmen wünschen, und zwar meistens dann, wenn die Strategieumsetzung ins Stocken gekommen ist und weder Erläuterungen noch Appelle helfen, Mitarbeitende zum gewünschten Umsetzungsbeitrag zu bewegen.
Manager wissen, dass auch eine gut durchdachte Strategie wenig wert ist, wenn sie nicht umgesetzt wird und dass erfolgreiche Strategieumsetzung nur dann stattfindet, wenn möglichst alle Führungskräfte und eine überwiegende Mehrheit der Mitarbeitenden dazu beitragen.
Ob jedoch ein Kulturwandel-Projekt den gewünschten Effekt hat, hängt wesentlich davon ab, was die Auftraggeber, also meist Mitglieder der Geschäftsführung, unter Unternehmenskultur verstehen.
Grundannahmen zum Thema Unternehmenskultur
Betrachten Top-Führungskräfte Unternehmenskultur als einen Gegenstand des normativen Managements? Dann nehmen sie an, dass Werte und Kultur ähnlich wie Vision und Strategie gestaltet und vorgegeben werden können. Vielleicht starten sie einen Leitbildprozess und kommunizieren die erarbeiteten Werte in der Erwartung, dass die Menschen in der Organisation sich danach verhalten. Der Effekt ist begrenzt.
Oder verstehen Manager Unternehmenskultur als Ergebnis von sozialen Prozessen? Das bedeutet zugleich, dass sie Kultur selbst nicht direkt beeinflussen können. Stattdessen müssen sie Faktoren verändern, die in Führung und Zusammenarbeit erlebbar werden und Mitarbeitende zum gewünschten, weil strategiekonformen Verhalten motivieren. Der Effekt kann nachhaltig sein.
Kulturwandel im Unternehmen aus Sicht der Mitarbeitenden
Vorgegebene Werte und Leitbilder bleiben in Organisationen oft weitgehend wirkungslos. Ihr Wert besteht darin, eine gemeinsame Idee von Einstellungen und Verhaltensweisen, die zum Zielzustand des Unternehmens passen, zu entwickeln.
Ob aber irgendjemand danach handelt, ist nicht davon abhängig, wie überzeugend die formulierten Werte sind, sondern ob sie sich in beobachtbaren Ereignissen widerspiegeln.
Mitarbeitende erfassen genau den appellativen Charakter: dass die beschriebenen Verhaltensregeln gelten sollen und sie aufgefordert sind, entsprechend zu handeln. Viele sind auch bereit, sich für eine bessere Unternehmenskultur persönlich zu engagieren.
Alle wollen aber auch sehen, dass die Verantwortung für die Umsetzung von Werten nicht allein auf ihren Schultern lastet, sondern auch die Rahmenbedingungen für wertekonformes Verhalten geschaffen werden. Wenn das nicht passiert, bleibt alles unverändert.
Denn die meisten Führungskräfte und Mitarbeitende richten ihr Verhalten darauf aus, was für sie vorteilhaft ist, und das leiten sie davon ab, was sich auch für andere bewährt.
Unternehmenskultur im Sinne gelebter Werte ist in aller Regel nicht das Ergebnis von Leitbildkommunikation, sondern eine Reaktion auf die Wirklichkeit der Organisation.
Beobachtungen und Schlussfolgerungen
Mitarbeitende verhalten sich in bestimmter Weise, weil sie sehen, dass andere, die dasselbe anstreben wie sie, sich ebenfalls so verhalten. Die wahren Rollenvorbilder in Organisationen sind nicht jene, welche definierte Werte leben, sondern diejenigen, die erreichen, was sie anstreben.
Kultur spiegelt, was die Organisation belohnt, sanktioniert oder zulässt.
Wer Karriere machen will, orientiert sich an Führungskräften, die weiter oben in der Hierarchie stehen. Wie sind sie dahin gekommen? Was zählt? Spielen Werte eine Rolle oder kommt es nur auf KPI-Erreichung und informelle Beförderungspolitik an?
Wer keine weiteren Karriereschritte machen möchte, orientiert sich an jenen, die ihren Status-quo halten. Was tun sie dafür? Was können sie sich erlauben, nicht zu tun? Kann man energieeffizient durchkommen, ohne dass dadurch unangenehme Nachteile entstehen?
Zu solchen Fragen beobachten die Menschen in der Organisation sehr genau, was im Unternehmen passiert, ziehen ihre Schlüsse und handeln entsprechend. Es müssen also zu vielen Themen Management-Entscheide getroffen werden, die zu anderen Konsequenzen in der Umsetzung führen – und zwar ausreichend oft und über einen längeren Zeitraum, so dass dies für alle gut sichtbar, verlässlich und vorhersagbar wird. Dann werden sie ihr Verhalten an die neue Realität anpassen.
Die Tücken klassischer Kulturmodelle
Viele Führungskräfte verstehen Kultur als Gegenstand von normativem Management. Sie gehen davon aus, dass Unternehmenskultur ebenso definierbar ist, wie eine neue Vision, Strategie oder operative Prozesse.
Die Vorstellung, dass Kultur direkt gestaltet werden kann, wird häufig mit dem Kulturebenen-Modell von Edgar Schein begründet, das drei Ebenen beschreibt:
- Kultur wird sichtbar in sogenannten Artefakten, z.B. in Form von Corporate Design, Innenarchitektur, Dresscode und teils unausgesprochenen Verhaltensstandards wie Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln statt Autofahren oder vegane Ernährung in der Kantine.
- Darunter liegt die Ebene der kollektiven Werte, die dem Individuum einen gefühlten Rahmen dafür geben, wie die Dinge richtig sein sollen. Es ist der unausgesprochene «Groove» der Organisation, den die meisten fühlen und teilweise auch beschreiben können.
- Auf der tiefsten Ebene verortet Schein individuelle Gedanken, Gefühle und Weltanschauungen der Menschen, die teils unbewusst sind und nicht explizit zum Ausdruck kommen.
Persönlich halte ich nicht viel von Edgar Scheins Kulturebenen-Modell, weil es zu einem reedukativen Ansatz verleitet. Unternehmen definieren z.B. neue Artefakte, um kollektive Werte zu verändern und so bis zur Ebene der individuellen Weltanschauungen durchzukommen, auf der Veränderung nachhaltig wird. Doch diese sehr persönliche Ebene ist nicht einfach zu erreichen.
Damit ist zugleich der Schwachpunkt des Kulturebenen-Modells klar, dass nämlich neu gestaltete Artefakte in ihrer Wirkung genau dort bleiben, wo Edgar Schein sie verortet: an der Oberfläche.
Missverständnisse und ungewollte Signale
Unternehmen werden nicht «cooler», wenn alle Sneakers tragen dürfen und Mitarbeitende nicht sicherer im Umgang untereinander und mit Kunden, wenn es egal ist, welche Schuhe man anhat.
Das verordnete «Du» mag zur hierarchiefreien Kommunikation einladen ebenso wie das Grossraumbüro ein gleichberechtigtes Nebeneinander fördern kann. Ob jedoch der Beitrag aller gleich viel wert ist, entscheidet sich sicher nicht über die Anrede oder den Verzicht auf Einzelbüros.
Vielmehr zeigen sich Grenzen von gewollter Diversity oder agiler Selbstregulation, wenn z.B. schlecht über Führungskräfte geredet wird, die sich für ruhiges Arbeiten aus dem Grossraumbüro in Meetingboxen zurückziehen oder über Ü50-Kollegen, die lieber weiter in polierten Budapestern als in Sneakers ins Büro kommen.
Eingangs habe ich formuliert, dass es bei Kulturwandel-Projekten darauf ankommt, was die Auftraggeber, also meist Mitglieder der Geschäftsführung, unter Unternehmenskultur verstehen.
Hier kommt die Auflösung: Wie werden nicht die Organisation verändern, indem sie die Werte neu definieren. Es ist umgekehrt. Sie werden andere die gelebten Werte verändern, wenn sie die Organisation verändern. Das ist die Henne-Ei-Problematik von Kulturwandel im Unternehmen.
Werte in der Zweckgemeinschaft
Aus meiner Sicht besteht das grösste Missverständnis in der Anwendung von Kulturmodellen wie dem von Edgar Schein darin, dass die Ursache für kollektives Verhalten auf der Ebene der individualpsychologischen Einstellungen verortet wird.
Die Antwort liegt in der Abgrenzung von Organisationen als sachorientierten sozialen Systemen von sozialen Systemen, die personenorientiert sind, wo sich also Menschen treffen, die durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind und vielleicht auch dieselben Werte teilen.
Unternehmen funktionieren aber anders. Hier treffen sich Menschen, weil sie den Unternehmenszweck, die Produkte und Dienstleistungen, die Verdienstmöglichkeiten, die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten attraktiv finden und wahrscheinlich auch andere, die dasselbe gut finden.
Gleichwohl, Unternehmen rekrutieren, befördern und entlohnen sie Mitarbeitende nicht nach deren Werteorientierung, sondern nach Leistung und Wertbeitrag für das Unternehmen. Auch durch Kulturprojekte wollen Unternehmen nicht die Welt oder die Menschen verbessern, sondern strategiekonformes Verhalten fördern, das schlussendlich dem Erfolg dient.
Systemischer Blick auf Kulturwandel im Unternehmen
Zunächst führt nichts an der Erkenntnis vorbei, dass Unternehmenskultur immer etwas recht Stabiles ist. Sie hat sich sozusagen herausgemendelt und verändert sich nur langsam.
Das hängt damit zusammen, dass Menschen ausreichend oft und über einen ausreichend langen Zeitraum beobachten können müssen, dass es Gründe für anderes Verhalten gibt, als sie es aus der Vergangenheit gewohnt sind. Genau das ist die Definition von kritischer Masse in Change-Projekten: Es müssen viele Menschen lange genug etwas anders machen als vorher, damit die Veränderung nachhaltig ist.
Und insofern liegt die Verantwortung für Kulturwandel im Unternehmen insbesondere bei der Führung, bei jenen, die qua Rolle für Entscheidungen und Konsequenz-Management zuständig sind – nichts ist stärker kulturprägend, weil nichts für Mitarbeitende deutlicher zu beobachten ist und damit Grundlage für ihr eigenes Handeln ist.
Systemischer Ansatz für Kulturwandel-Projekte
Aus meiner Erfahrung als Organisationsberaterin können Leitbildprozesse ein sinnvolles Element in Kulturprojekten sein, denn sie aktivieren die formalen Strukturen der Organisation für das Thema.
Damit meine ich: Wichtig ist der Prozess des «Management-Alignments» zur Notwendigkeit, einen Kulturwandel im Unternehmen anzugehen und dazu, welches Verhalten im Sinne der Strategie wünschenswert wäre und welche Voraussetzungen dafür geschafft werden müssen.
Ein solches Projekt zum Kulturwandel im Unternehmen beginnt also Top-Management und es beschränkt sich nicht darauf, einen Idealzustand des kollektiven, werteorientierten Handelns zu beschreiben und zu wollen.
Wichtig ist, dass die oben beschriebene Henne-Ei-Problematik beachtet wird. Die Geschäftsleitung muss verstehen, dass die Unternehmenskultur sich nicht nachhaltig verändert, wenn sie von Mitarbeitenden besseres Verhalten fordert. Denn Unternehmen werden nicht von Gesinnungstätern bevölkert, sondern von Menschen, die hier einen Job, vielleicht auch Karriere machen wolle – idealerweise umgeben von Gleichgesinnten.
Es geht also darum, dass das Management für die Mitarbeitenden Beobachtungen organisiert, die zu Schlussfolgerungen führen, welche das erwünschte Handeln auslösen.
Wirksame Komponenten von Kulturwandel-Projekten
Mitarbeitende werden von Beobachtungen, die auf einen Kulturwandel hindeuten, von sich aus in einem gemeinsamen Kontext setzen und miteinander verbinden. Der Vorgang sollte unterstützt werden durch einen Diskurs zum Thema.
Die neue Unternehmenskultur braucht einen guten Auftakt und muss dann systematisch aufgebaut und über die Zeit entwickelt werden, so dass sich die Anhaltspunkte für einen ernsthaften Kulturwandel beobachtbar verdichten und verstetigen.
- Management-Alignment: Der Start in den Kulturwandel sollte im obersten Führungsgremium stattfinden. Dabei geht es darum zu diskutieren, welche Unternehmenskultur zur Strategie passen würde, welches Verhalten aktuell beobachtbar ist und was die Gründe dafür sein könnten. Es ist wichtig, einen Rahmen für eine ehrliche, auch selbstkritische Diskussion zu schaffen.
- Leitbild-Prozess: Wenn das Management startklar ist und den Kulturwandel im Unternehmen starten will, macht ein partizipativer Leitbild-Prozess Sinn. Das Ergebnis ist weniger wichtig als der Prozess. Verschiedene Führungsebenen diskutieren, welche Verhaltensweisen zur Strategie passen, was nicht (mehr) geduldet werden sollte und vor allem, welche Rahmenbedingungen dafür entschieden und umgesetzt werden müssen.
Mitarbeitende und Führungskräfte erleben solche Prozesse als praxisnah und relevant, wenn die Umsetzung der Werte am Beispiel konkreter Aufgaben aus dem Arbeitsalltag diskutiert wird. - Entscheidungsmanagement: Menschen in Organisationen brauchen beobachtbare Ereignisse als Anhaltspunkte für Schlussfolgerungen, aus denen dann eigenes Handeln resultiert. Besonders richten sie ihre Aufmerksamkeit auf Entscheidungen der obersten Führung und die Konsequenz in der Umsetzung.
Wenn die Geschäftsleitung z.B. Profitabilität einfordert, muss neben Umsatz auch die Marge ein wichtiger KPI sein. Sollen bestimmte Prozesse verbindlich sein, darf es nicht geduldet werden, wenn diese dauerhaft ignoriert werden. Ausserdem wichtig: Wie geht die Geschäftsleitung mit Non-Performern einerseits und High-Performern anderseits um? Wie lange wird Non-Performance geduldet? Können es sich Leistungsträger erlauben, gegen vereinbarte Regeln zu verstossen oder Mitarbeitende schlecht zu führen? - Interner Diskurs: Kulturwandel im Unternehmen kommt nie ohne Kommunikation aus. Das darf sich nicht auf die Distribution eines neuen Leitbilds oder Appelle zur Umsetzung beschränken. Wichtig ist, über beobachtbares Verhalten zu den definierten Werten zu sprechen und Führungskräfte und Mitarbeitende dazu miteinander ins Gespräch zu bringen, möglichst konkret und auf das eigene Handeln im Team bezogen.
Prozessführung: Unternehmenskultur ist nichts Statisches. Wie alle Organisationsentwicklungsprozesse erfordert auch der Kulturwandel im Unternehmen regelmässig einen kritischen Check, und zwar im obersten Führungsgremium, wo auch der Startschuss gefallen ist. Wieder gilt es, nicht nur über das (un-)erwünschte Verhalten der Menschen in der Organisation zu sprechen, sondern insbesondere über die Signale für die Ernsthaftigkeit der Veränderung, die nur die Führung setzen kann. Was hat sich verändert und was nicht, und was sind jeweils die Gründe dafür? Welche Entscheidungen muss die oberste Führung in Handlungsfeldern als nächstes treffen, um das neue und erwünschte Verhalten auszulösen.
Zusammenfassung
Der systemische Blick auf Unternehmenskultur macht klar, dass Leitbildprozesse mit Wertekommunikation, die zu einem anderen, weil besseren Verhalten auffordert, ins Leere läuft.
Mitarbeitende sind selten «Gesinnungstäter», die ihr Verhalten an persönlichen Überzeugungen ausrichten. Stattdessen orientieren sie sich an beobachtbaren Ereignissen, insbesondere an Management-Entscheidungen und entsprechenden Folgenentscheidungen. Es reicht also nicht, wenn die oberste Führung einen Beschluss fasst. Es müssen auch die notwendigen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Beschlusses geschaffen werden. Und natürlich gehört auch das Management der Konsequenzen dazu, was also geschieht, wenn der Beschluss ignoriert wird.
Wichtigster Indikator für die geltende Unternehmenskultur ist der Umgang mit Leistungsträgern. Können die sich ungestraft alles erlauben, auch das Ignorieren von Werten, nur weil sie Zahlen liefern? Wenn Unternehmen wollen, dass definierte Werte gelten, dann muss vor allem die oberste Führung dafür sorgen, dass im Unternehmen stattfindet, was stattfinden soll. Denn Mitarbeitende beobachten das aufmerksam und schlau und handeln sie so, wie es für sie zweckmässig und weiterführend ist.