Was bedeutet die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) für das Change-Management? Ist ChatGPT in der Organisationsentwicklung hilfreich und sinnvoll? Wie können Berater KI nutzen und welche Skills machen den Menschen unersetzbar?

Do-it-yourself-Tendenzen in Organisationen

Viele Unternehmen setzen heute in Projektarbeit und Tagesgeschäft agile Methoden ein. Es gibt mittlerweile ein breites Grundverständnis von Konzepten wie Unternehmenskultur, Partizipation, Selbstorganisation und Transformation, insbesondere im Kontext von Digitalisierung.

Seit einigen Jahren machen sich Unternehmen zunehmend unabhängig von externen Knowhow-Trägern und bauen selbst Methodenkompetenz auf. Für gängige Workshop-Formate benötigen sie keine externen Moderatoren, denn sie verfügen über zertifizierte Agile Change Agents, Scrum Master und Design Thinking Anwender.

Zu dieser Do-it-yourself-Tendenz passt ChatGPT hervorragend.

Aber: Wie weit kommen Nicht-Experten mit ChatGPT in der Organisationsentwicklung? Und: Wie nutzen Berater ChatGPT so, dass ihr individueller Beratungsansatz deutlich wird?

Erste Prompts zum Thema

Mein erster Prompt: «How can I write a change concept?”

Zwei Sekunden später empfiehlt ChatGPT die folgenden vier Schritte: «1) Understand the Change, 2) Define the Change Concept, 3) Communicate the Change Concept, 4) Document the Change Concept”.

Ok, das ist ein Low-Brainer. Man soll Ausgangslage und Ziele der Veränderung verstehen, bevor man Massnahmen entwickelt. ChatGPT empfiehlt allerdings das umgekehrte Vorgehen, was für das Sprachmodell plausibel sein mag, für den Profi verkehrt herum ist: «Outline the key elements or components of the change and specify the scope of the change initiative».

Ich lese weiter, bis es mir zu banal wird. Man solle das Change-Konzept in Form eines Dokuments erstellen: «Compile all the key elements of the change concept into a comprehensive document».

Wie die Fragen, so die Antworten

Ob ChatGPT in der Organisationsentwicklung etwas taugt, hängt von den Fragen ab. Ich teste weiter: «What are key components of a change concept?”

Keine zwei Sekunden später erscheinen weitere Textblöcke zu den Überschriften: «1) Vision and Objectives, 2) Rationale and Justification, 3) Scope and Scale, 4) Change Strategy and Action Plan, 5) Stakeholder Engagement, 6) Communication Plan, 7) Risk Management and Mitigation, 8) Metrics and Evaluation, 9) Leadership and Change Agents, 10) Culture and People Considerations, 11) Sustainability and Continuous Improvement».

Ja, macht Sinn. So ähnlich baue ich auch Offerten und Konzepte auf. Der Ungeübte erhält hier eine sinnvolle Strukturhilfe und wer nicht auf eine persönliche Trickkiste von Methoden und Tools zurückgreifen kann, dem liefert ChatGPT zu jedem Begriff weiterführende Inhalte.

Richtig, aber banal

Allerdings – wer auf dieser Ebene Erklärungen braucht, dem würde ich kein anspruchsvolles Change-Projekt anvertrauen. Die Lage wird nicht besser durch Tipps wie diesen: «address the organization’s preferred communication channels, styles, and frequency».

Es fehlt jeder Hinweis auf zielgruppenspezifisches Vorgehen oder die Definition der Beteiligungstiefe und entsprechende partizipative Massnahmen. Change wird hier mit Kommunikation gleichgesetzt, was eine überholte Definition ist.

ChatGPT bleibt auf diesem Niveau auch bei der Frage nach der Change-Roadmap, die zur vorgeschlagenen Struktur des Change-Konzepts gehört: «Develop a step-by-step roadmap that considers the organization’s structure, processes, and resources».

Auch zu «Metrics and Evalution» bleibt die Antwort banal: «Define metrics and indicators to measure progress and success in alignment with the organization’s specific goals».

ChatGPT zum Thema Unternehmenskultur

Mein nächster Prompt führt in dieselbe Sackgasse: «How to define organisation specific change approach»? ChatGPT schlägt vieles vor, was nicht falsch ist, aber auch nicht weiterhilft.

Man soll die Organisation verstehen («Gather insights about the organization’s history, culture, values, structure, and previous change experiences»), dann Veränderungsziele festlegen, die Change-Management-Strategie auf die Unternehmenskultur ausrichten («Tailor change management approaches to fit the existing organizational culture»), eine Change-Roadmap erstellen, Stakeholder involvieren und darauf achten, dass die erzielte Veränderung nachhaltig ist.

Ich frage noch einmal nach: «What makes corporate culture unique?»

Es kommt eine Aufzählung von Themen, die typischerweise mit Unternehmenskultur verknüpft werden, von Werten, Führung, Mitarbeiterverhalten, Ritualen und Arbeitsumgebung über Kundenorientierung und Personalentwicklung, Belohnungssystemen und interner Kommunikation.

ChatGPT in der Organisationsentwicklung

Nun frage ich nicht, wie ich etwas machen soll, sondern was in einem konkreten Fall zu tun ist. Ich lasse ChatGPT für mich arbeiten: «Write a change concept tailored for a professional service provider operating as a partnership aiming to enhance partner productivity».

Jetzt kommt ein Vorschlag zum Vorgehen, der sehr gut zur Fragestellung passt. Er umfasst

  • einen Vorschlag zur Formulierung und Begründung des Veränderungsziels
  • zum Ziel passende Umsetzungsmassnahmen: Performance Assessment, Performance-Ziele, Trainings und Personalentwicklungsmassnahmen, Optimierung operativer Prozesse, bessere Ressourcenallokation, Einsatz von Technologie und Aufbau einer wissensbasierten Zusammenarbeitskultur
  • Eckpunkte einer Kommunikationsstrategie: Townhall-Meeting, Workshops, regelmässige Information
  • Anhaltspunkte zu erwartbaren Ergebnissen: mehr verrechenbare Stunden, höhere Auslastung, bessere Servicequalität, gestärkte Kundenbeziehungen
  • KPI für das Messen von Fortschritt und Erfolg, die zu den angestrebten Ergebnissen passen
  • Hinweise zum nachhaltigen Verankern des Themas, z.B. in einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung

Das ist keine schlechte Basis. Als erfahrene Beraterin könnte ich dieses Raster relativ zügig ausgestalten. Wer sich auskennt, kann mit ChatGPT schnell Grundlagen schaffen und diese dann mit eigener Expertise würzen.

Veränderungen im Beraterjob

ChatGPT in der Organisationsentwicklung liefert rasend schnell Grundlagen, Eckpunkte und Ideen. Von praktischem Nährwert ist das Ganze nur für den User, der die Ergebnisse so weiterverarbeiten kann, dass etwas substanziell Gutes entsteht.

Berater werden Change-Prozesse zunehmend hybrid erarbeiten und sollten lernen, wie sie das Tool nutzen: wie sie möglichst gute Prompts formulieren und dann die Antworten der Maschine als «Human-in-the-loop» kreativ weiterentwickeln, so dass im Ergebnis ein fallspezifisches und überzeugendes Konzept entsteht.

Offenkundig kann ChatGPT spezialisierte Organisationsberater nicht ersetzen. Es kommt auf die fachkompetente Anwendung der KI an, und genau das wird zum Skill-set von Beratern gehören.

Unersetzbare Beraterleistungen

ChatGPT hat keine «Welt-Wahrnehmung», wie Google es nennt. Das Tool kann nicht das Leben beobachten und vor allem keine Inhalte erkennen, die nur implizit vorhanden sind. Auf genau diese Themen hinter Themen kommt es in der Organisationsentwicklung aber an.

Warum machen die Menschen in Organisationen nicht das, was für das Unternehmen besser wäre? Obwohl sie es wissen und das Management es ihnen sagt. Es gibt immer gute Gründe für dysfunktionale Muster in komplexen sozialen Systemen. Menschen in Organisationen verhalten sich anders als es von ihnen erwartet wird, weil es für sie mehr Sinn macht.

Es ist wie in der Psychologie: Jede Störung hat einen Zweck. Was Organisationsberater machen, ist vergleichbar mit einer Psychotherapie, in der ein nachhaltig wirksames Therapiekonzept eben nicht die Symptome, sondern die Ursachen einer Störung adressiert.

Es bleibt eine Kompetenz erfahrener Organisationsberater, dynamische Systeme zu verstehen und weiterzuentwickeln. Dazu gehört die Analyse von kollektiven Verhaltensmustern, das Design wirksamer Change-Konzepte und vor allem die souveräne Prozessführung, insbesondere auch im Umgang mit Überraschungen und Blockaden.

Insofern ist ChatGPT in der Organisationsberatung faszinierend, auch weil es Kernkompetenzen und Qualitäten bestätigt, die den Beruf des Consultant anspruchsvoll und interessant machen.

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Bildquelle: www.gograph.com