Gelegentlich stolpere ich über das Thema Alter und Change. Vor allem dann, wenn Menschen, die Veränderungen gestalten wollen, darüber sprechen, welche Widerstände sie befürchten.
Alter und Change – ist das ein Widerspruch oder eine Chance? Blockiert das eine das andere oder sind Menschen in der Mitte des Lebens eine Chance für den Change wie der Change es für sie ist.
Silberrücken in der Natur finden wir faszinierend. Weil sie erfahren sind, Führung übernehmen und ihre Ansprüche markieren. Silberrücken im Business erhalten diesen Respekt nicht immer, haben es schwer, sich langfristig zu positionieren und verlieren mit der Zeit in der Gruppe an Einfluss. Was ist da los?
Eine Lunch-Geschichte
Kürzlich war ich mit einem langjährigen Wegbegleiter zum Lunch verabredet. Ich mag ihn. Er ist intelligent und sympathisch, fachlich integer und erfahren. Ich finde, er spricht souverän über Banking und Technologie, gleichzeitig auch aufmerksam und differenziert über Führung und Zusammenarbeit.
Er ist Mitte 50 und hat nach einem Jahr «Gardening leave» bei einem Konzern gerade einen Job als CEO eines Schweizer KMU gefunden.
Ich kenne etliche Führungskräfte, die ihre Stelle verloren haben und ein Jahr oder länger brauchten, bis sie eine neue berufliche Tätigkeit aufnehmen konnten.
Mehr Geschichten aus dem Leben
Da ist eine Bankmanagerin, die zunächst Studiengangsleiterin an einer Fachhochschule wurde und heute Mitglied der Hochschulleitung ist. Ein CEO eines Schweizer KMU, der nach Integration des Unternehmens in einen Konzern zunächst dort Bereichsleiter wurde und dann in die Selbständigkeit als Berater verabschiedete. Ein Abteilungsleiter eines Technologiekonzerns, der die Leitung eines Familienunternehmens übernahm.
Durch die Karrierebrille betrachtet mögen das Seitwärts- oder Rückwärtsschritte sein. Persönlich haben diese Menschen mehr Zufriedenheit gewonnen und setzen viele neue Akzente in ihrem neuen Umfeld.
Sie sind Beispiele dafür, dass Alter und Change gut zusammenpassen. Allerdings mussten sie auch viel Energie dafür einzusetzen, das unter Beweis stellen zu dürfen.
Etwas Statistik…
In der Schweiz waren im März 2023 rund 92’750 Menschen als arbeitssuchend gemeldet, was gemessen an der erwerbstätigen Bevölkerung einer Arbeitslosenquote von 2% entspricht.
Davon sind rund 27’570 Personen zwischen 50 und 64 Jahre alt, also knapp 30% der als arbeitssuchend gemeldeten Menschen.
Diese Zahlen hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit Bezug auf die Zahlen der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) erhoben. Menschen, die bei Stellenverlust direkt in die selbst-finanzierte Selbständigkeit gehen oder solche, die sich in Weiterbildungsmassnahmen befinden, sind nicht in dieser Statistik. Ebenfalls fehlen jene, die «ausgesteuert» sind, also Langzeitarbeitslose, für die von der Arbeitslosenkasse keine AHV-Beiträge mehr gezahlt werden.
Das bedeutet: Trotz einer hohen Beschäftigungsquote haben Menschen über 50 in der Schweiz Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden.
Vorurteile und Meinungen
Ich erinnere, dass ein Nachwuchsmanager auf der Topebene (Mitte 40) über einen anderen Top-Manager (Ende 50) sagte, dieser sei, was das Berufsleben anginge, «end of lifecycle».
Derselbe Manager sprach sich für eine «deutliche Verjüngung» der zweiten Führungsebene aus, weil diejenigen über 50 «zu träge» geworden seien.
Von Weiterbildungsstudierenden (zwischen 30 und 40) im Fach Business Transformation höre ich manchmal, ältere Kollegen und Kolleginnen (ab Mitte 50) kämen bei Agilität und digitaler Transformation nicht mehr mit. Alter und Change passten nicht zusammen. Die Älteren würden Change behindern.
Dieselben Menschen treten politisch korrekt und hochgradig tolerant auf.
Diversity und Inclusiveness
Überall in Politik, Gesellschaft und Business wird über Diversity und Inclusiveness geredet. Es ist Common sense geworden, dass Menschen aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Körpermassen, körperlichen Einschränkungen und anderen individuellen Merkmalen keine Nachteile erfahren dürfen.
Wenn ich auf Bilder in Medien und Werbung achte, sehe ich People of Colour, Curvy Models, immer mindestens ebenso viele Frauen wie Männer, jung wirkende Menschen mit grauen Haaren… Es gibt Body Positivity, Wokeness, genderneutrale Sprache. Die Welt wirkt diverser und inklusiver. Nicht nur in der Werbung.
In der Politik und in Unternehmen hat sich der Mix der Menschen, die andere repräsentieren und Verantwortung für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft tragen, gewandelt.
Mehr Frauen in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten. Mehr junge Menschen, mehr Menschen mit Migrationshintergrund, mehr Menschen, die für LGBTQ eintreten.
Typische Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen
Wie passen Menschen über 50 und über 60 in diese Welt? Sie sind als Best-Ager und Silver-Ager und eine wichtige Zielgruppe im Marketing. Warum ist es für sie so schwierig, einen neuen Job zu finden?
In meiner Arbeit sehe ich oft Ergebnisse von Mitarbeiterzufriedenheitsumfragen und kenne auch Interpretationshilfen von Herstellern solcher Surveys.
Vereinfacht gesprochen sind Mitarbeitende mit 5 bis 8 Jahren Betriebszugehörigkeit unzufriedener als solche, die über 10 Jahr im Unternehmen sind. Die über 50jährigen bezeichnen sich häufiger als motiviert im Job und üben weniger Kritik am Unternehmen. Berufseinsteiger haben höhere Erwartungen an das, was das Unternehmen ihnen bieten soll als Mitarbeitende, die schon länger dabei sind.
Beobachtungen aus Projekten
Als Beraterin für Organisationsentwicklung mache ich folgende Erfahrungen mit dem Zusammenhang von Alter und Change:
Abschleifen von Veränderungsenergie: Während Mitarbeitende mit kürzerer Betriebszugehörigkeit noch an die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens und den Wert konstruktiver Kritik glauben, konzentrieren sich die Älteren auf ihre Arbeit und die Zufriedenheit ihrer Kunden.
Kontinuität und Wandel: Während die Jüngeren von Agilität und VUCA-Welt sprechen, haben die Älteren gesehen, dass «schon so manche Sau durchs Dorf getrieben» wurde. Sie sehen, was sich ändert und auch, was dauerhaft über den Erfolg ihrer Tätigkeit entscheidet – das wird ihre Priorität.
Geschäftsmodelle: Wie viel Unruhe oder Ruhe ein Unternehmen braucht, ob Unruhe produktiv und Ruhe souverän ist, hängt auch vom Geschäftsmodell ab. Eine Social-Media-Agentur will und braucht vermutlich mehr Change und weniger Alter als eine Anwaltskanzlei.
Energieeffizienz: Je länger im Unternehmen, desto stärker setzen Mitarbeitende ihre persönliche Energie für das ein, womit sie im Unternehmen gut durch- bzw. weiterkommen. Sie engagieren sich, wo es opportun für die eigene Positionierung ist und schweigen, wo ihnen der Einsatz nichts bringt.
Einsatzbereitschaft: Geschäftsmodelle, in denen viele Juniors für Umsatz sorgen und wenige Seniors für Erfahrung, profitieren von der Energie der Jüngeren. Fehlende Treffsicherheit wurde lange durch höhere Einsatzbereitschaft ausgeglichen. Gen Z sieht das anders. Was die Qualität nicht steigert.
Kosten: Alter kostet, Change auch. Erfahrene Mitarbeitende fordern höhere Löhne. Jüngere fordern anderes, z.B. 4-Tage-Woche und Home-Office. Mitarbeitende sind die «Assets» des Unternehmens und was es in sie investiert, hängt davon ab, was Kunden für seine Produkte zu zahlen bereit sind.
Aufmerksamkeit: Das unternehmensinterne Geschehen wird von den Erfahreneren aufmerksam verfolgt und oft differenzierter eingeschätzt, als Jüngere das können. Für Führungskräfte bedeutet das: ihr Tun wird kritischer beäugt, gleichzeitig ist der Widerstand subtiler.
Wert von Widerstand: Wenn Mitarbeitende, z.B. solche mit längerer Betriebszugehörigkeit, den Change blockieren, werden immer Wahrheiten sichtbar: die guten Gründe, die es gibt, die Veränderung nicht mitzumachen. Gründe, die auf Erfahrung von Führung basieren.
Unternehmenskultur, Alter und Change
Alles, was ich oben beschrieben habe, handelt von Unternehmenskultur. Kultur ist weniger davon abhängig, wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden umgeht als von der Häufigkeit und Dauer, mit der das stattfindet.
Anders gesagt: Mitarbeitende brauchen eine gewisse Zeit, um ausreichend viele Management-Entscheidungen zu erleben und ausreichend viele Beispiele dafür zu beobachten, wodurch Erfolg und Misserfolg entstehen, womit man weiterkommt, und was sanktioniert wird. Kultur ist Ergebnis der lernenden Organisation, und gelernt wird auch, was besser anders wäre.
Deshalb lässt sich am Verhalten von Mitarbeitenden mit längerer Betriebszugehörigkeit viel über die Unternehmenskultur ablesen. Anders ist das bei Unternehmen mit hoher Fluktuation, die permanent viele jüngere Mitarbeitende mit kurzer Betriebszugehörigkeit haben. Solche Organisationen wirken veränderungsaffiner, sind aber auch operativ unruhig, was ein sehr stabiles Problem sein kann.
Unternehmenskultur erfolgreich verändern
Unternehmenskultur entsteht und verändert sich, indem Führung sichtbar und wirksam wird. Mitarbeitende beobachten Entscheidungen, die Führung trifft, und sehen die Umsetzung, die auf diesen Entscheidungen folgt. Sie sehen, was gewollt ist und was verändert oder auch nicht verändert wird. Sie ziehen ihre Schlüsse daraus und verhalten sich nach den oben beschriebenen Spielregeln, die im Wesentlichen von Energieeffizienz, Vorteilssuche und dem Weg des geringsten Widerstands handeln.
Ich habe noch nie erlebt, dass Change nachhaltig funktioniert, wenn Führungskräfte die Einstellung von Mitarbeitenden beeinflussen wollen. Denn für Mitarbeitende geht es nicht darum, was «richtiges» und «falsches» Verhalten ist. Es geht ihnen darum, was für ihren Aufenthalt im Unternehmen Sinn macht und was nicht.
Erfolgreichen Change habe ich dann erlebt, wenn Führungskräfte systematisch dafür sorgen, dass Mitarbeitende das «Richtige» beobachten: Entscheidungen, Ereignisse und Verläufe, die Anlass zu Schlussfolgerungen geben, aus denen Handlungen resultieren, die das Unternehmen strategisch braucht.
Übrigens: Viele Geschichten aus meinem Netzwerk, bei denen ältere Arbeitnehmende eine neue berufliche Tätigkeit finden mussten, sind gut ausgegangen. Manche von hatten die Nase voll von schlecht geführtem Change und auch das ist Ergebnis einer lernenden Organisation: wenn diejenigen gehen, die noch viel zu geben haben. Genau das haben einige dieser späten Jobwechsler dann am neuen Ort mit viel Energie gemacht. Regelrecht disruptiv. Nicht weil sie jung sind, sondern weil sie dankbar für die neue Chance waren und ihre Erfahrung und Treffsicherheit mutig eingebracht haben. Change durch Alter also – das gibt es auch und zwar gar nicht so selten.
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Bildquelle: Zoo Zürich