«Küss mich, ich bin ein Prinz!»
Disruption, Transformation, Kooperation… Worum geht es genau? In Vorbereitung meiner Dozententätigkeit an der ZHAW zum Thema Business Transformation Management habe ich mit einigen Kunden und Netzwerkkontakten gesprochen und sie gefragt, ob sie einen Case zur Bearbeitung spendieren könnten. Ich habe nicht unbedingt vor, Fallbeispiele für Transformation mit dem Firmennamen zu verwenden. Das geht auch anonymisiert. Ich war neugierig auf umfassende Veränderungsvorhaben, am liebsten solche, bei denen am Geschäftsmodell geschraubt wird. Disruption, Transformation, Kooperation – welche Wege schlagen Unternehmen ein?
Warum meine Neugier? Beim Thema Transformation geht es immer auch um die Überzeugung, dass aus einer Idee etwas Grosses werden kann. Am Anfang der Frosch mit Krone, am Ende der Prinz. Man muss den Frosch allerdings küssen. Nicht jeder Frosch wird ein Prinz. Aber wer ihn nicht küsst, verpasst eine Chance.
Einfach eine Weiterentwicklung
Eine sehr schöne Antwort hat mir kürzlich beim Lunch der CEO eines Schweizer Mittelständlers gegeben: «Wir wachsen seit Jahren kontinuierlich. Und konzentrieren uns, auf das, was wir können. Ist fast schon langweilig. Changen tun wir nicht so viel.» Er untertreibt ein wenig. Man muss wissen, dass die Firma seit zwanzig Jahren am Markt ist, jetzt auch in den USA und in Asien. Sie hat sich von der IT-Garage zu projektorientierten Spartenorganisation mit ordentlichen Führungsstrukturen gemausert. Das Produktportfolio hat sich in die Breite und in die Tiefe entwickelt. Eine Transformation des Geschäftsmodells war noch nicht nötig, und die Notwendigkeit dazu liegt nicht in der Luft. Finanzen und Organisationsentwicklung werden mit ruhiger Hand gemanaget.
Immer zur Veränderung bereit
Ganz anders war die Rückmeldung eines Projektleiters aus dem Bereich Back-Office/IT einer Schweizer Grossbank. «Veränderungsthemen? Jede Menge. Regulatorik, Brexit, Reorganisationen, Digitalisierung, um nur ein paar der grossen Change-Themen zu nennen.» Veränderung? Auf jeden Fall. Disruption? Eigentlich nicht. Transformation? Ja – teilweise auch in der Breite der Organisation.
Ist klar, dass eine international tätige Universalbank politische und regulatorische Veränderungen reflektieren muss. Das gibt jedes Mal ein Projekt. Der mehr oder weniger regelmässige Umbau interner Strukturen kommt hinzu. Die Strategieerneuerung im 3-5-Jahres-Turnus gehört ohnehin zum Alltag.
Ist die Grossbank dynamischer als der vermeintlich langweilige Mittelständler im Technologiesektor? Nein. Wer bewegt sich mehr? Und wer kommt schneller vom Fleck? Ok… Fairerweise soll man wendige Kleinboote nicht mit Ozeandampfern vergleichen – sie sind für unterschiedliche Gewässer gemacht.
Im Kern unverändert
«Wir digitalisieren. Das ist nichts Disruptives. Das Kerngeschäft läuft unverändert weiter. Weil das nach wie vor ein grosses Kundenbedürfnis ist», sagte mir der CEO einer grösseren Ostschweizer Regionalbank. Kann ich nachvollziehen. Wie die Wettbewerber auch lebt diese Bank unverändert vom klassischen Angebot in den Bereichen Anlegen, Vorsorgen, Zahlen. Manche Vorgänge werden durch digitale Tools gestützt. Für die Kundenberater und auch für die Kunden sind das Add-ons. Beratung findet nach wie vor in den Filialen statt. In der Bankenwelt spricht man vom hybriden Geschäftsmodell.
Verändert sich diese Bank zu wenig? Würde ich so nicht sagen. Sie hält mutig mit im Digitalisierungstrend. Sie macht vieles, was andere Banken auch machen. Sie macht sogar mehr. Sie erfindet sich allerdings nicht neu.
Mein Eindruck ist: Banken pirschen sich an Disruption heran. Was in gewisser Weise ein Widerspruch in sich ist. Disruption kommt schlagartig. Aber wenn die Game-Changer da sind, ist das Spiel noch nicht entschieden. Banken brechen nicht so schnell mit ihren traditionellen Erfolgsfaktoren. Sie freunden sich stattdessen mit neuen Technologien an, kooperieren mit FinTechs und versuchen parat zu sein, wenn die Zukunft zur Gegenwart wird.
Verändern sich die Banken insgesamt zu wenig? Vermutlich schon, wenn man daran denkt, dass Facebook eine Kryptowährung plant, Google schon seit ein paar Jahren Mobile Payment anbietet und digitale Technologien wie Blockchain Fragen nach der künftigen Existenzberechtigung von Banken aufwerfen.
Ein Experiment
«Beispiele für Transformation? Jede Menge. Machine learning. Künstliche Intelligenz überhaupt. Bots. Automatisierung wird an vielen Stellen den Menschen ablösen», antwortete mir der Partner einer kleinere Technologieberatung. Und freut sich auf die Digitalisierungs- und Implementierungsprojekte, von denen seine Firma auch weiterhin gut wird leben können. Ist das Transformation, wenn ein Unternehmen auf seiner Website eine Chat-Funktion einbaut, mit der die Interaktion des Users mit der Firma beginnt?
Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Sowas sind Veränderungen von Touch-Points mit den Kunden. Am Kerngeschäft ändert das nichts, auch nicht daran, wie das Kerngeschäft im Wesentlichen stattfindet. Und so innovativ ist es auch nicht.
Die inneren Werte kennen
Die Begriffe Transformation und Disruption sind trendy. Was ich in meinen Beratungsprojekten sehe, sind mehr oder weniger mutige Veränderungen in zwei Richtungen. Gar nicht so exotisch. Eigentlich sogar naheliegend.
Beschrieben finde ich es in einem Buch, das ich gerade lese. Scott D. Anthony u.a.: Dual Transformation. How to Reposition Today’s Business While Creating the Future (Harvard Business Review Press, 2017).
Eines dieser amerikanischen How-to-Bücher für Manager. Ich finde es nicht so überwältigend und denke, es hätte mit weniger Seiten auskommen können. Viele Beispiele von amerikanischen Unternehmen. Viele Zitate von amerikanischen Managern. Aber die Grundidee ist sehr nachvollziehbar.
Transformation entsteht aus einer Bewegung in zwei Richtungen und zwar dann, wenn
- das heutige Kerngeschäft repositioniert wird, um seine Widerstandskraft gegenüber künftigen Entwicklungen zu erhöhen,
- ein neues, separates Wachstumsfeld kreiert wird und dafür
- vorhandene, schwer reproduzierbare Assets / Kompetenzen genutzt werden.
Was konkret unternommen werden kann, um das Kerngeschäft abzusichern, wissen wir. Die Kosteneffizienz wird gesteigert. Produktportfolios werden bereinigt. Vertriebskanäle werden erweitert oder verändert. Das ist nicht das Interessante an dem Buch.
Auch Beispiele für neue Wachstumsfelder nennt das Buch. Wie Netflix vom DVD-Verleih zum Streaming-Provider wurde. Wie Adobe von Software-Lizenzen auf Software as a Service umstellte. Wie Zeitungen vom gedruckten Tagesblatt zu Content-Providern wurden. Auch das ist nicht das Interessante an dem Buch.
Fokus, Mut und Konsequenz
Interessant an diesem Buch ist, dass nicht die operativen Veränderungen, mit denen Transformation gelungen ist, im Fokus stehen. Das ist je nach Branche und Herausforderung spezifisch.
Der rote Faden, der sich durchzieht und Transformation gelingen lässt, ist die Entschlossenheit in der Führung. Es ist der Fokus auf das Wesentliche, mit dem das bestehende Kerngeschäft gestählt wird. Der Mut, alte Zöpfe abzuschneiden, sich radikal auf Kundenbedürfnisse einzustellen und die Transformation aggressiv umzusetzen. Es ist die Konsequenz, mit der Skills und andere Assets, die von Wettbewerbern nicht so einfach nachzuahmen sind, zumindest teilweise aus dem Kerngeschäft abgezogen werden, um für neue innovative Geschäftsfelder genutzt zu werden.
Meine kleine Umfrage bei Kunden und Netzwerk-Kontakten hat mir Spass gemacht. Ich habe mit Führungskräften gesprochen, die sehr bewusst auf ihr Geschäftsmodell blicken, die wissen, dass Stillstand Rückschritt ist und solide, pragmatisch und experimentierfreudig das Neue in die bestehende Organisation bringen. Respekt für diese Organisationen, die ihre Zukunft aktiv gestalten.
Dual Transformation
Transformation passiert, wenn das Kerngeschäft gegen absehbare Störfaktoren abgesichert wird, indem seine wesentlichen Erfolgsfaktoren herausgeschält werden. Und wenn neue, innovative Geschäftsfelder entwickelt werden, die die unverwechselbaren Kernkompetenzen des Unternehmens nutzen.
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Bildquelle: www.gograph.com