Experimente sind spannend. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht? Ich bin kürzlich zum ersten Mal in meinem Leben Achterbahn gefahren – auf mehreren Achterbahnen, um genau zu sein, davon manche für Anfänger, andere etwas wilder. Und ich habe mich zum Schnupftabak schnupfen verführen lassen. Wenn man gemeinsam in luftiger Höhe durch Haarnadelkurven knattern kann, warum dann nicht auch miteinander etwas in die Nase ziehen, was für unbedarfte Erst-User eine Überraschung zwischen aromatischer Erkältungsinhalation und pulverisiertem Pfeifentabak ist.

Diese Erlebnisse verdanke ich einem Projektabschlussevent, zu dem mich kürzlich ein Kunde eingeladen hat. Weil es im Projekt einige «ups and downs» gegeben hatte, passte das Achterbahnfahren als Abschluss gut. Während eine weitere Prise Schnupftabak wie ein Esslöffel japanisches Heilöl meinen Kopf durchpustete, dachte ich darüber nach, was die Höhen und Tiefen der Projektarbeit mit der Erfahrenheit oder Unerfahrenheit von Projektmitarbeitenden zu tun haben, also damit, ob sie das, was sie tun, noch nicht besonders oft gemacht haben.

Experimente und Experimentierlust

Eine deutlich sichtbare, steile Lernkurve hat im Achterbahnprojekt die Projektassistentin hingelegt. Sie hat etliche Experimente erfolgreich gemeistert. Sie hatte keine andere Wahl. Vor dem Projekt war sie noch Trainee. Jetzt, nach dem Projekt, ist sie eine vielseitig einsetzbare, selbständige Projektmitarbeiterin, die im nächsten Entwicklungsschritt ein beherrschbar abgestecktes Projekt sicher gut ins Ziel bringen wird. Sie hat vermutlich einiges zum ersten Mal gemacht in diesem Projekt, vieles frei nach dem Motto «learning by doing», immer mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Genauigkeit und vor allem immer getragen vom Vertrauen des Projektleiters, der wusste, dass die junge Dame ihre Aufgaben – manchmal sogar ihn – im Griff hatte.

Irgendwann ist immer das erste Mal. Auf Debütantinnen (ja, dies trifft auf Frauen stärker zu als auf Männer) ist oft zu Recht Verlass, denn sie wollen die Dinge richtig machen und niemanden enttäuschen. Wichtig für alle ist, dass es beim Experimentieren keine Unfälle und vor allem keine Verletzten gibt. Wenn der Junior im Projekt folgenreiche Fehler macht, ist seine Reputation ebenso wie die der Projektleitung beschädigt. Das ist einfach zu vermeiden, wenn allen klar ist, dass hier jemand lernen darf, weil er oder sie die Chance verdient. Dann dürfen alle aufkommenden Fragen gestellt werden und es gibt genug Menschen im Team, die Fragen bereitwillig beantworten.

Experimente und Selbstüberschätzung

Riskanter sind die heimlichen Debütanten unterwegs. Sie treten souverän auf, haben einen kritischen Blick auf Management-Entscheide, wissen vieles besser und greifen mutig nach Aufgaben und Verantwortung. Aus Studien weiss man, dass vor allem Männer dazu neigen, ihr eigenes Können zu überschätzen und auch kein Bewusstsein für das Ausmass ihrer eigenen Inkompetenz haben. Kurz vor der Jahrtausendwende publizierten die beiden Psychologen David Dunning und Justin Kruger die Ergebnisse ihrer Tests, in denen Probanden unterschiedliche Aufgaben lösen mussten. Vor der Auswertung wurden sie gefragt, wie gut sie wohl abgeschnitten hätten. Interessanterweise glaubten ausgerechnet die schlechtesten Probanden, sie hätten überdurchschnittlich abgeschnitten. Sogar, wenn man ihnen die besseren Testergebnisse anderer Probanden zeigte, glaubten sie weiterhin an ihre Fähigkeiten.

Hingegen waren die Probanden mit den besten Testergebnissen zurückhaltend in der Einschätzung ihrer Fähigkeiten. Mehr Kompetenz ging einher mit einem ausgeprägteren Bewusstsein für die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und das, was sie nicht wussten/konnten.

Unwissenheit führt zu mehr Selbstvertrauen als Wissen. Schwache Leistung ist mit mehr Selbstüberschätzung verbunden als starke Leistung. Und bei Anfänger übersteigt schon nach ersten Lernerfolgen die Selbsteinschätzung die tatsächliche Leistung. Eine «selbstwertdienliche kognitive Selbstwertverzerrung» nennen Psychologen das. Und so denkt der Fahranfänger, dass er das PS-starke Auto der Eltern im Griff hat, bis es ihn aus der Kurve schleudert. Und so denken unter Umständen junge Vorstandsassistenten, dass sie viele Themen, die sie beim Chef schon gesehen haben, auch selbst erfolgreich ins Ziel spielen können. Auch wenn’s riskant ist, es kann ja auch klappen.

Interne Projekte als Wachstumschance

In vielen Firmen werden interne Projekte mit Nachwuchstalenten gestafft. Persönlich war ich schon oft beeindruckt von der Einsatzbereitschaft und Kreativität junger Teams, die nicht nach Schema-X vorgehen, sondern Vorgehensweise und Lösungsansatz mindestens teilweise neu erfinden. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, einen spektakulären Hochseilakt ohne Sicherung zu sehen.

Konzerne heuern für strategisch wichtige Projekte mit Reichweite oft noch namhafte Beratungsfirmen an, die vom Label her für Qualität stehen, allerdings oft ebenfalls begabte, aber relativ unerfahrene Consultants schicken. Die Mischung macht’s, das ist klar. Consultingfirmen schicken als Projektleiter immer einen Senior. Verantwortungsvolle Manager in Unternehmen machen es genauso. Die Chance auf Erfolg ist einfach höher, wenn ein Projektleiter seine Projektmitarbeitenden realistisch einschätzt und wertschätzend ihre Talente, aber auch ihre Lernfelder berücksichtigt.

In der geschützten Werkstatt findet kein Wachstum statt. Wenn jemand zum ersten Mal etwas macht, das nicht schiefgehen sollte, ist das ein Risiko, aber eben eines, das man managen kann.

Spielräume für Charakterköpfe

Im Achterbahnprojekt war das Team gemischt, der Projektleiter eigenwillig und die Arbeitsweise teils unkonventionell. Absolut konservativ war die Art, wie die Entscheider aus dem Projekt heraus bedient wurden. Arbeitsergebnisse für den Verwaltungsrat wurden mit höchster Sorgfalt termingenau aufbereitet. Kreativer und nicht nach Lehrbuch war die projektinterne Zusammenarbeit organisiert. Da gab es durchaus Experimente. Eine Art situativer Führungsstil half dabei, junge und erfahrene Teammitglieder zur Entfaltung zu bringen. Ende gut, alles gut. Wie beim Achterbahnfahren. Zwischendurch machen nicht alle immer ein entspanntes Gesicht, aber zum Schluss herrscht Freude.

Weiterführende Links in diesem Zusammenhang

Bildquelle: eigenes Foto

Eine Übersicht über Achterbahnen im Europa-Park Rust