«It’s fake change», sagte einmal der Projektleiter eines Kulturwandel-Projekts zu mir, «wir sollten nicht zu viel Aufwand betreiben». Wann ist Change nur Fake Change? Was sind die Risiken von Fake Change? Wen betreffen sie? Kann Fake Change auch ok sein?
Das erwähnte Projekt sollte dazu beitragen, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Es endete damit, dass der Projektleiter die Ergebnisse des Vorprojekts an die neue «Leiterin Diversity & Inclusion» übergab. Der Projektleiter hatte sein Projekt damit erfolgreich abgeschlossen und die nun zuständige Spezialistin hatte das Problem.
Denn solche Veränderungen sind nicht an eine Stelle delegierbar. Eine zuständige Stelle kann lediglich Umsetzungsaktivitäten orchestrieren, die von der Führung gewollt sein müssen und zu Ergebnissen führen, die von allen als vorteilhaft erlebt werden.
The law of quantity
Es gibt Themen, zu denen im Grundsatz alle Ja sagen und die doch enorm schwierig in der Umsetzung sind. Zumindest wenn sie ohne direkten Impact auf das Geschäftsergebnis sind. Erst wenn ein Thema nachweislich zur Steigerung des Geschäftserfolgs oder zur Verbesserung des Images beiträgt, wird es intern handlungsrelevant.
Das Risiko von Fake Change erlebe ich vor allem bei Projekten, die auf eine Veränderung von Werten, Einstellungen und Verhalten abzielen. Solche Projekte sind kaum ursächlich auf finanziellen Erfolg oder Image-Vorteile zu beziehen.
Viel einfacher ist es, z.B. Prozesseffizienz durch Einführung einer neuen Software herzustellen. Die Mitarbeitenden mögen sich dagegen sträuben, doch es wirkt die normative Kraft des Faktischen. Alle müssen das neue System nutzen und es gibt einen Effekt, z.B. kürzere Durchlaufzeiten im Prozess.
Themen mit Fake Change Risiko
Auch bei Mindset-Themen braucht es Quantität der Anwendung, damit ein Effekt spürbar wird. Eine ausreichende Anzahl Menschen muss sich in relevanten Situationen über eine gewisse Zeit in bestimmter Weise verhalten und damit erfolgreich sein. So entsteht Unternehmenskultur.
In einer Bank hat mir vor ein paar Jahren der Leiter Unternehmenskommunikation von der Erstellung des Reports zum Thema Corporate Social Responsibility (CSR) erzählte. Das fiel in seine Zuständigkeit. Also CSR = PR. Was weder Grundidee noch Zweck von CSR ist. Aber es hatte einen Effekt.
Das PR-Team erstellte den Report professionell nach den global anerkannten Standards der Global Reporting Initiative (GRI). Weil es die vorgegebene inhaltliche Struktur so will, motivierte das Unternehmen seine Mitarbeitenden zu ehrenamtlichem Engagement für Umwelt und Gesellschaft. Mittlerweile gehen sehr viele Mitarbeitende aus Überzeugung jeweils für ein Wochenende in die Berge, um Wanderwege auszubessern. Denn CSR, vor allem in Verbindung mit Umweltthemen, hat an Bedeutung gewonnen.
Natürliche Schwungmasse im Real Change
Nachhaltigkeit ist durch den Klimawandel zu einem Pflichtprogramm für viele Unternehmen geworden. Nicht aus purer Selbstlosigkeit. Die jüngeren Mitarbeitenden – Generation Z – arbeiten lieber für Unternehmen mit Purpose. Zum anderen sortieren Rating-Agenturen und Aktienindizes Unternehmen nach Nachhaltigkeitskriterien, z.B. nach ESG-Rating. Umweltbewusstsein als gesellschaftlicher Trend, Employer Brand und gute Börsenbewertung – das hängt direkt miteinander zusammen.
Das Thema Sustainability braucht heute weniger Change-Management als noch vor ein paar Jahren. Dienstreisen mit der Bahn sind fast schon angesagter als solche mit Flugzeug oder Dienstwagen. Je mehr interne Meinungsführer sich entsprechend verhalten, umso mehr folgen. Irgendwann ist dann die kritische Masse für echten Change erreicht. Vor allem am Anfang, wenn das Thema noch klein ist, muss die Unternehmensspitze es klar und für alle vernehmbar als erfolgskritisch vertreten.
Qualitative Messgrössen von Veränderung
Typischerweise setzen Unternehmen Mitarbeiterbefragungen ein, um eine Diagnose zur Unternehmenskultur stellen zu können. Dabei wird in der Regel nicht nach individuellen Einstellungen und Werten gefragt, sondern nach beobachtbarem Verhalten in kulturprägenden Situationen.
Wie gehen Führungskräfte mit Mitarbeitenden um? Wie geht man mit Kunden um? Wie werden Führungskräfte entlassen? Wer wird befördert? Wer hat Einfluss und warum? Daran machen Mitarbeitende Unternehmenskultur fest.
Die Art und Weise, wie geführt und zusammengearbeitet wird, intern und mit Kunden, verändert sich erst nach längerer Zeit. Dann nämlich, wenn ausreichend viele Menschen sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben und sich in kulturprägenden Situationen über eine gewisse Zeit in bestimmter Weise verhalten und erleben, dass sie damit erfolgreich sind. The law of quantity…
Commitment und Steuerung
Es ist eine spannende Aufgabe, Veränderungen so zu gestalten und steuerbar zu machen, dass Effekte spürbar werden. Es geht im Kern immer wieder darum, eine kritische Masse von Menschen zu erreichen, die für sich einen Vorteil in der Veränderung erkennen und bei der Umsetzung mitmachen.
Das erfordert, dass konkrete Anreize für Veränderung geschaffen werden, die Veränderung kausal mit persönlichem Erfolg verknüpfen. Es muss sich für die Menschen in der Organisation lohnen, das Verhalten zu verändern. Sie müssen erleben: Wenn Anwendung des Neuen, dann Erfolg und Anerkennung.
Meine Beobachtung ist, dass die Akzeptanz der Veränderung nur wenig von der Qualität der Change-Massnahmen abhängt und leider auch nicht von der Kompetenz der verantwortlichen Change-Spezialisten.
Viel entscheidender ist der Wille der Führung und die Glaubwürdigkeit im Umsetzen. Denn brutalerweise merken Mitarbeitende sehr schnell, ob sie Fake Change erleben oder ob es um ernsthafte Absichten geht.
Alignment der Köpfe
Meine Motivation als Beraterin in Change-Projekte ist, dass sich der Einsatz dafür lohnt, ein Bewusstsein für die Erfolgsfaktoren im Change zu schaffen – zunächst bei den AuftraggeberInnen in der Führung und dann bei den Menschen in der Organisation.
Entscheidet sich die Führung – unausgesprochen – für Fake Change, weil sie konsequentes Handeln scheut, dann ist klar, dass die Organisation sich nicht verändern wird. Die Projektverantwortlichen werden sich aufreiben, weil sie nicht erfolgreich sein können.
Denn ohne top-down-Commitment keine bottom-up-Dynamik. Ohne Top-Level-Sponsoren keine Relevanz. Ohne Einfordern von Anwendung keine Effekte. Ohne Konsequenzen bei Ignorieren der Veränderun, keine Glaubwürdigkeit. Ohne Einfordern der kritischen Masse kein spürbarer Wandel.
Aber wenn das Alignment der Köpfe funktioniert, dann entsteht Rückenwind für gute Ideen. Wenn der Wille da ist, fällt das Umsetzen leicht. Und dann ist Change inspirierend und motivierend.
Die lernende Organisation
«Wir möchten uns zur lernenden Organisation entwickeln», wünschen sich Führungskräfte manchmal zu Beginn eines Change-Projektes. Tatsächlich ist es so, dass alle Organisationen lernende Organisationen sind. Deshalb ist Unternehmenskultur so stabil, denn sie besteht aus nichts anderem als weiterführend erkanntem und gelerntem Verhalten.
Die Frage ist nur: Soll der Vorgang des Lernens beeinflusst werden? Dann muss die Organisation lernen, wie sie lernt. Die lernende Organisation macht die Art und Weise, wie sie lernt, zum Thema. Dann können die Mechanismen, die Gelerntes verankern, unterbrochen und durch neue Mechanismen ersetzt werden.